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Klaus Wagenbach

Die Diktatur des Lektorats

KLAUS WAGENBACH gehört zu den schillerndsten Figuren der deutschen Verlags-Szene. Der 62jährige Berliner hat die trübseligen Umgangsformen der Linken abgelegt, die heiteren möchte er beibehalten. Ein Porträt von Günter Kaindlstorfer.

"Immer, wenn ein neues Buch kommt", sagt Klaus Wagenbach, "schnüffle ich daran. Nase rein, das ist das erste." Der Verleger mit dem gemütlichen, in langen Arbeitsjahren wohlerworbenen Bäuchlein wippt auf seinem Bürosessel lässig nach hinten und greift sich zu Demonstrationszwecken ein Werk von Djuna Barnes aus dem Regal. Mit Kennermiene klappt er den Wälzer auseinander, dann taucht er seinen Zinken tief zwischen die Seiten hinein.

"Manche Bücher sind mir einfach unangenehm, weil sie ekelhaft riechen." Das Werk von Djuna Barnes gehört nicht in diese Kategorie. Klaus Wagenbach legt großen Wert auf die handwerkliche Machart seiner Bücher, (die ihm gar nicht gediegen genug sein kann), dazu gehört eben auch, daß der spätere Lesegenuß nicht durch üblen Hautgout beeinträchtigt wird. "Normalerweise stinkt Druckerschwärze nach Ruß", doziert er: "Ich kann das nicht haben. Unsere Druckerschwärze wird parfümiert, da verrate ich ja kein Geheimnis. Da kommt ein bißchen Tannennadelduft dazu ­ schon bekommen unsere Bücher ein angenehmes Odeur."

Der Verlag residiert heute – nach kärglichen Gründerjahren in Wagenbachs Privatwohnung – in einer hellen Villenetage im Zentrum Westberlins. Wenn der Hausherr sich hinter die Schreibmaschine klemmt und einen Blick aus dem Fenster wirft, schaut er auf mächtige, alte Ahornbäume, die seinen Firmensitz vornehm umgrenzen. Reich ist der Privatmann Klaus Wagenbach von seinem Job bis jetzt nicht geworden. Er genehmigt sich selbst ein Nettogehalt von 4500 DM im Monat, seine Mitarbeiter müssen mit Salären zwischen 2800 und 3000 DM das Auslangen finden. Entschädigt werden sie durch einen interessanten Job und ein exzellentes Betriebsklima. "Wir haben die tranigen Umgangsformen der Linken abgelegt", sagt Wagenbach, "aber wir haben die heiteren beibehalten." Alle beziehen ungefähr das gleiche Gehalt, man geht zusammen mittagessen, an manchen Sommersonntagen rückt die Belegschaft kollektiv zum Schwimmbad-Besuch aus. Natürlich steigen in regelmäßigen Abständen auch fröhliche, chiantifeuchte Feten ­ die berühmten Wagenbach-Parties.

Im Grunde grenzt es an ein Wunder, daß der Wagenbach-Verlag überhaupt noch Bücher unter die Leute bringt. Drei schwere Krisen hat der Verlag in seiner knapp dreißigjährigen Geschichte überstanden. Da war zunächst die Gründungsphase: Wegen nachweislich linksradikaler Gesinnung bei S. Fischer gefeuert, wagte Wagenbach 1964 den entscheidenden Schritt: Auf Anraten von Freunden wie Ingeborg Bachmann und Uwe Johnson gründet er einen eigenen Verlag. Beim Zusammenkratzen des Startkapitals greift ihm der Vater unter die Arme, ein bäuerlich geprägter Sozialreformer mit katholischem Background, nach dem Krieg Mitbegründer der CDU. Nicht ohne Nostalgie denkt Wagenbach an diese frühen Kampfjahre zurück: "Mein Vater war politisch völlig anderer Meinung als ich, aber daß ich aus politischen Gründen gefeuert wurde, das hat ihn furchtbar aufgeregt. Er besaß zwar kein Vermögen, aber er besaß eine Wiese im Hochtaunus. Diese Wiese hat er mir geschenkt."

Der erste kaufmännische Akt des Jungverlegers bestand darin, die Liegenschaft zu veräußern. Um das Stammkapital aufzufetten, verkaufte er auch essentielle Teile seines Hausrats. Auf diese Weise kamen 120.000 Mark in die Verlagskassa. Damit konnten Wagenbach die ersten Bücher finanzieren, zu mehr reichte es nicht. Was den Verleger damals vor dem Bankrott rettete, war die Tatsache, daß kein westdeutscher Verlag sich damals für die Songs und Balladen eines aufmüpfigen DDR-Poeten interessierte. Sein Name: Wolf Biermann. Klaus Wagenbach sprang ein. Er stellte die Poeme des Protestbarden zu einem Gedichtband zusammen und verlieh ihm den Titel "Die Drahtharfe". Das Buch wurde zum Verkaufsschlager, der Verlag war vorderhand saniert. Klaus Wagenbach allerdings wurde von den DDR-Gewaltigen mit Einreiseverbot belegt. "Das hat mich schwer getroffen", erinnert er sich, "denn ursprünglich wollten wir einen DDR-Schwerpunkt machen, mit vielen prominenten Ost-Autoren im Programm."

Daraus wurde nichts. Ostberlin strich sämtliche Lizenzen. Dafür avancierte Wagenbach zum Haus- und Hof-Verlag der bundesdeutschen Linken. Vieles von dem, was den Revoluzzern von anno '68 gut und teuer war, erschien im Hause Wagenbach. Von den frühen Reportagen Ulrike Meinhofs bis zu den Schriften Rudi Dutschkes, von den Gedichten Erich Frieds bis zu den sozialpsychologischen Büchern Peter Brückners. Das bescherte Wagenbach das zweifelhafe Image des "Baader-Meinhof-Verlages" sowie dem Verlagschef selbst mehrere Hausdurchsuchungen. "Ich habe damals mehr Zeit im Gerichtssaal versessen als hinter dem Schreibtisch." Wagenbachs Rechtsanwalt zu jener Zeit: Otto Schily. Sein fanatischster Gegner: die Springer-Presse. Alle Prozesse gingen "ehrenhaft verloren", wie Wagenbach betont. Gerichtskosten und Geldbußen in Millionenhöhe bugsierten den Verlag allerdings erneut an den Rand des Ruins.

In den wilden 70ern mußte der "linke Hedonist" Klaus Wagenbach dann auch mit internen Querelen fertig werden. In einem "Anfall von ideologischer Verblendung" hatte der "Radikaldemokrat" die Hälfte seiner Anteile an ein Verlagskollektiv verschenkt. Es kam, wie es kommen mußte: Die Partner forderten Mitsprache, wollten den Verlag schließlich ganz übernehmen. Es folgten heftige verlagsinterne Scharmützel. Im Frühjahr 1973 stand plötzlich ein Rechtsanwalt in der Verlagswohnung in der Jenaer Straße, um im Namen des Kollektivs zu fordern: "Der Name Wagenbach gehört der Bewegung!" Das war dem Verleger zuviel: Wagenbach trennte sich von den früheren Mitkämpfern, den Namen durfte er nach wüsten Auseinandersetzungen behalten. Die Abspalter mußten mit einem anderen Verlagsnamen vorlieb nehmen. Sie entschieden sich für "Rotbuch". Alles Verlagsgeschichte.

Mit Schaudern denkt Wagenbach an die Geschehnisse von damals zurück. Heute herrschen klare Strukturen im Haus. Wie schauen die aus? "Bei uns gibt's eine Diktatur des Lektorats", erklärt Wagenbach. Zwar dürfen alle Mitarbeiter, vom Graphiker bis zum Hersteller, an den obligaten Generalsitzungen am Montag teilnehmen, was aber inhaltliche Fragen betrifft, herrscht strikte Gewaltenteilung. "Das Lektorat entscheidet autonom, ob ein Text angenommen wird oder nicht.", sagt Wagenbach. Ein Prinzip gilt als unantastbar: "Alle Entscheidungen müssen einstimmig getroffen werden." Eine Ausnahme gibt es: Kann sich das Lektorats-Kollektiv auf die Annahme eines Manuskriptes nicht einigen, tritt die sogenannte "Herzklausel" in Kraft. "Für solche Fälle gibt es ein heiliges Ritual", erklärt Wagenbach: "Erst wird auf Teufel komm raus gestritten ­ dann folgt eine kleine Pause. Ich setze ein feierliches Gesicht auf, der Kollege setzt ebenfalls ein feierliches Gesicht auf. Dann frage ich: Ist das Buch für dich eine Herzensangelegenheit? Sagt der Kollege ja, gilt das Manuskript als angenommen. Dagegen ist kein Rechtsmittel mehr zulässig."

Bei jedem Satz aus Wagenbachs Munde merkt man: Der Mann verfügt über einen ganz und gar undeutschen Humor. Dem Klischeebild des bierernsten Norddeutschen entspricht der agile Verleger sowieso nicht. Immer wieder unterbricht sich Wagenbach selbst, um stillvergnügt in sich hineinzukichern. "Ich verrate Ihnen ein Geheimnis", sagt er. "Deutsche Leser sind ordentliche Leser. Für einen Verleger, wenn er klug ist, bringt das erhebliche Vorteile mit sich. Wenn Kafka zum Beispiel hundertsten Geburtstag hat, wird bei uns in Deutschland eisern Kafka gelesen, damit kann man als Verleger spekulieren. Befindet man sich gerade in Geldschwierigkeiten, bringt man eben einen üppigen Bildband über Franz Kafka heraus. Man darf darauf bauen, felsenfest, daß sich der Bildband so und so viele tausendmal verkaufen wird ­ eine sichere Bank. Ich habe diesen Trick mehrfach mit Erfolg angewendet."

Zu seiner Geburtsstadt Berlin hat Klaus Wagenbach eine, nun ja, sagen wir, ironisch-liebevolle Beziehung. "Ich bin in den sechziger Jahren zurück nach Berlin gegangen, da haben alle gesagt: Der Mann ist verrückt geworden. Ich war aber ganz und gar nicht verrückt. Mir gefällt Berlin, es ist eine durch und durch deutsche Stadt. Ich will in einem richtigen Piefke-Ort leben, mit Schäferhunden, mit Kleingartensiedlungen und halbfaschistischen Pilstrinkern in der Kneipe ums Eck. Als Verleger darf man den Kontakt zum Volk nicht verlieren. Den habe ich hier in Berlin." Wenn Deutschland Wagenbachs Ehegattin wäre, eine mäßig schöne, mäßig sinnliche Frau mit Dauerwellen und Blümchenschürze, dann wäre Italien wohl sein feuriger Flirt. Faktum ist: Der Verleger liebt Italien wie sonst kaum etwas auf der Welt. In der Nähe von Montepulciano besitzt Wagenbach ein Haus, drei Monate im Jahr verbringt er dort ­ arbeitend, lesend, dem "vino nobile" zusprechend: "Ich bewundere Italien, da kann man als Linker fünf oder sechs verschiedene Parteien wählen. Herrlich! Italien ist in allem das Gegenbild zu Deutschland: Was wir zuviel an Ordnung haben, haben die zuwenig, was wir zuwenig an Anarchie haben, haben die zuviel. Wunderbar, der Kontrast!"

Wagenbachs Zuneigung zur italienischen Literatur hat dem Publikum in deutschen Landen so manchen Lektüregenuß in Grün-Weiß-Rot verschafft. Luigi Malerba und Giorgio Manganelli, Natalia Ginzburg und Romano Bilenchi, Gesualdo Bufalino und Pier Paolo Pasolini, sie alle hat Wagenbach entdeckt oder gefördert, jedenfalls aber, das weitaus wichtigste: verlegt.

"Ein guter Verleger", sagt Wagenbach, "muß über drei Eigenschaften verfügen: Erstens: Er braucht eine gesunde Portion Neugier. Zweitens: Er sollte zwei oder drei Fremdsprachen beherrschen. Drittens: Er muß sich jederzeit auf eine fundierte Halbbildung verlassen können." Im Falle des 62jährigen Verlegers gesellt sich noch ein weiterer Vorzug hinzu: Wagenbach liest alle Werke, die in seinem Haus erscheinen, auch selbst. Keine Selbstverständlichkeit in seinem Gewerbe. Da liegt die Frage nahe, ob Wagenbach zu seinen Büchern ein erotisches Verhältnis unterhält. "In gewisser Weise schon", sagt er. "Wie ich schon sagte: Ich rieche gern an Büchern. Das hat doch mit Erotik zu tun, oder nicht?"

ERSCHIENEN in "Der Standard", 14. August 1992


www.wagenbach.de



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