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Nick Hornby: "Juliet, naked", aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Heilmann, Kiepenheuer und Witsch, 384 Seiten,
ISBN: 978-3-462-04139-2

Nick Hornby: Juliet, naked

Rezension von Günter Kaindlstorfer

Über Typen wie Duncan haben wir uns schon in früheren Nick-Hornby-Büchern amüsiert: Duncan ist ein misanthropischer Folkrock-Nerd von Mitte vierzig, der mit seiner Freundin Annie in einem Badeörtchen im nördlichen England lebt. Die wesentlichen Sensationen, über die Gooleness  - so der Name des Kaffs - verfügt, sind ein Haufen Möwen, ein paar frierende Kurgäste und zwei, drei trostlose Bingohallen. Duncan unterrichtet am örtlichen College, Freundin Annie, 40, arbeitet als Kuratorin am lokalen Heimatmuseum. Die beiden führen seit Jahren eine eher leidenschaftslose Beziehung, was vielleicht AUCH mit Duncans fast schon pathologischer Begeisterung für den US-amerikanischen Singer-Songwriter Tucker Crowe zu tun hat.

Duncan ist einer DER weltweit führenden Tucker-Crowe-Fans. Täglich verbringt er Stunden im Internet, um sich auf der von ihm mitverwalteten "Tucker-Crowe-Plattform" mit Gleichgesinnten auszutauschen. Dabei hat Tucker Crowe seine besten Jahre längst hinter sich. Der von Nick Hornby erfundene Singer-Songwriter – stilistisch irgendwo zwischen Bob Dylan und dem mittleren Leonard Cohen angesiedelt – hat nie zu den Top-Stars des Genres gehört, war immer eine Art Geheimtipp. Seit sich der Künstler aber 1986 von einem Tag auf den anderen aus dem Musikbusiness zurückgezogen hat, wird er von ein paar Dutzend Fans weltweit kultisch verehrt...

Nick Hornby hat also wieder einen Popmusik-Roman verfaßt. Das Thema scheint den 52jährigen nicht loszulassen. Pop, so erklärt Hornby, ist kein bloßes Jugendphänomen mehr wie früher: Künstler wie Bob Dylan, Neil Young oder Bruce Springsteen seien heute selbst schon überwutzelte ältere Herren, wie könnte ihre Musik da ausschließlich junge Leute begeistern? Hinter seinem, Hornbys Interesse, stecke mehr als bloße Nostalgie, Pop gehöre längst zur Kulturgeschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts...

Liest sich ganz vergnüglich, die gefakte Rockmusik-Vita, die Nick Hornby seinem Singer-Songwriter Tucker Crowe da verpaßt hat, mit fingiertem wikipedia-Eintrag und allem, was sonst noch dazugehört. Tucker Crowe, so will uns Hornby weismachen, hat in den 70er und 80er Jahren fünf Studioalben veröffentlicht, keines davon schaffte es unter die Top dreißig der berühmten Billboard-Charts. Die letzte LP aber, „Juliet“ aus dem Jahr 1986, kam immerhin auf Platz 29. „Juliet“ war Crowes größter Erfolg, und Duncan, sein ihn abgöttisch liebender Fan, kann natürlich jeden der zehn Songs auf dem Album auswendig rauf und runter singen.

Und dann – damit bringt Hornby die Handlung in Schwung – kommt plötzlich und unerwartet ein Album mit verschollen geglauten Demobändern von „Juliet“ auf den Markt, „Juliet, naked“, so der Titel. Duncan ist aus dem Häuschen. Er veröffentlicht eine hymnische Kritik auf der Tucker-Crowe-Internetseite – und reagiert vollkommen fassungslos, als seine Lebensgefährtin Annie eine kritische Gegen-Bespechung auf das Portal stellt. Um ihren Lover zu ärgern natürlich, und um vielleicht einen Funken Gefühl in ihm zu wecken, und seien’s nur Wut und Empörung.

Nick Hornby hat sich das alles schön ausgedacht, Beziehungsverwicklungen zwischen patenten Frauen mit leisen Selbstzweifeln und mehr oder weniger lebensunfähigen Nerds sind schließlich seine Spezialität. Richtig spannend wird’s in „Juliet, naked“, als dann Tucker Crowe, der verschollen geglaubte Rock-Star, sich mit einem Mail bei Annie meldet und ihr zu ihrer hellsichtigen Plattenbesprechung gratuliert. Annie beginnt eine flirtive E-mail-Korrespondenz mit dem Singer-Songwriter – ohne ihrem Mann etwas davon zu verraten. Liebe in Zeiten des Internet, spät, aber doch hat sie auch Nick Hornby entdeckt...

Hornbys neuer Roman fängt stark und witzig an. Je weiter die Handlung aber voranschreitet, umso lascher und weniger überzeugend wirkt das alles. Vom Witz seines Zweitlings-Romans „High Fidelity“ ist dieses Buch Lichtjahre entfernt, und wenn auch immer wieder des Autors sympathische Menschenfreundlichkeit aufblitzt, so hat man auch die schon überzeugender gestaltet gefunden in früheren Büchern des popbegeisterten Briten.

Fazit: Mit den Romanen Nick Hornbys ist es ein bißchen wie mit den Filmen Woody Allens. Es gibt stärkere und schwächere, was echte Fans allerdings nicht wirklich zu stören vermag. Echte Nick-Hornby-Aficionados werden auch von „Juliet, naked“ angetan sein, obwohl das Buch zu den eher wenigen gelungenen Werken des 52jährigen Briten zählt.







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