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Salomon Malka: EMMANUEL LÉVINAS - EINE BIOGRAPHIE
C.H. Beck Verlag (2004), 314 Seiten, ISBN: 3406516599

Salomon Malka: Emmanuel Lévinas - Eine Biographie

Aus dem Französischen von Frank Miething
Rezension von Günter Kaindlstorfer


Was ist das für ein eigenwilliger Denker, zu dessen Bewunderern Jacques Derrida und Vaclav Havel ebenso gehören wie Papst Johannes Paul II.? Vom Pontifex Maximus ist der Ausspruch überliefert, dass er Emmanuel Lévinas für einen der bedeutendsten Religionsphilosophen des Zwanzigsten Jahrhunderts halte. Es ist nicht einfach, die Philosophie des Husserl- und Heidegger-Schülers Lévinas, der zugleich ein bedeutender Talmud-Gelehrter war, auf den Punkt zu bringen. Im wesentlichen geht es dem aus Litauen stammenden Philosophen um die Überwindung des "egozentrischen Denkens", die er in der abendländischen Tradition seit Sokrates\' Tagen am Werk sieht.

In einschlägigen Lexika wird Emmanuel Lévinas als "Theoretiker des ANDEREN" geführt. "Einem Menschen begegnen heißt, von einem Rätsel wach gehalten zu werden", hat der Philosoph einmal formuliert. Anders gesagt: Einen Menschen respektieren bedeutet, ihm seine "Andersheit" zu lassen, ihn nicht mir gleich machen zu wollen. Der Pariser Essayist Salomon Malka hat Emmanuel Lévinas nun ein respektvolles Buch gewidmet, ein durchaus persönliches Werk, war Malka doch Schüler in der "École Normale Israélite Orientale", jenem jüdischen Internat in Paris, das Lévinas jahrzehntelang als Direktor geleitet hat. Malka schreibt über den Philosophen:

Zitat Malka:
"Den Menschen kannte ich schon seit meinem siebzehnten Lebensjahr, als ich Schüler in jenem Internat war, das er leitete. Das kleine Energiebündel, das durch die Gänge fegte, machte damals Eindruck auf uns. Ich erinnere mich an Wutausbrüche gegen Mädchen, deren Haare die Waschbecken im Internat verstopften, seine Nervosität, wenn man nicht zum Gottesdienst herunterkam... Wir lebten in seiner Philosophie, ohne uns darüber im klaren zu sein. Ich denke an die Aufmerksamkeit, die er, ohne es sich anmerken zu lassen, den ungeduldigen Fragen der jungen Leute, ihrem Bedürfnis, bemerkt zu werden, widmete."

Emmanuel Lévinas\' Biographie war aufs engste mit der Geschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts verwoben. 1906 im litauischen Kaunas geboren, wuchs der spätere Philosoph in der blühenden jüdischen Kultur der zweitgrößten Stadt Litauens heran. Seine Eltern führten ein Schreibwarengeschäft, die Familie lebte ein frommes Leben mit koscheren Speisen und regelmäßigem Synagogenbesuch. Der Bub begeistert sich früh für Tolstoi und Puschkin, bald gesellen sich zu den literarischen auch philosophische Interessen. Ende der zwanziger Jahre studiert Lévinas zuerst in Straßburg, dann in Freiburg bei Edmund Husserl. Bald lernt er auch Martin Heidegger kennen – wie viele andere Studenten lässt sich Lévinas von der Heideggerschen Philosophie begeistern. Sein Leben lang setzt sich Lévinas mit dem archaisierenden Denken des Freiburger Meisterphilosophen auseinander. Daß der bewunderte Lehrer sich 1933 mit den Nazis einlässt, wenn auch nur kurz, kann ihm Lévinas nicht verzeihen. Sein Verhältnis zu Heidegger: eine Mischung aus Zuneigung und Abscheu, aus Faszination und Aversion. Jahrzehnte später wird Lévinas in einem Interview folgendes zu Protokoll geben:

Zitat Lévinas:
"Es ist immer Beschämung dabei, wenn ich meine Bewunderung für diesen Philosophen eingestehe. Man weiß, was Heidegger 1933 war, auch wenn er es nur für kurze Zeit war, und auch wenn seine Schüler es bisweilen vergessen. Ich kann es nicht vergessen. ALLES kann man gewesen sein, nur nicht Hitlers Anhänger."

Die Nazizeit überlebt Lévinas, der in den dreißiger Jahren nach Paris übersiedelt ist, in einem deutschen Kriegsgefangenenlager in Fallingbostel, zwischen Bremen und Hannover gelegen. Nach der Befreiung erfährt der damals 39jährige, dass seine Eltern und seine beiden Brüder in Litauen von den Nazis ermordet worden waren. Von da an wird Emmanuel Lévinas nie wieder deutschen Boden betreten, bis zu seinem Tod 1995 nicht. Die Erfahrung der Shoa hat den "extremen Humanismus" des Levinas\'schen Denkens zutiefst mitgeprägt. Die Hauptmaxime seiner Ethik hat der französisch-litauische Philosoph einmal so formuliert:

Zitat Lévinas:
"Wir müssen ein Gedächtnis derjenigen bewahren, die sich – seien sie Juden oder Nicht-Juden – im größten Chaos so zu verhalten wussten, als ob die Welt nicht aus den Fugen gewesen wäre."

Es ist nicht eigentlich eine Biographie, was Salomon Malka da im Verlag C.H. Beck vorgelegt hat. "Hommage" wäre ein besserer Ausdruck. Malka hat die wesentlichen Wegmarken der Levinas\'schen Vita recherchiert, er hat mit Freunden, Verwandten und Gefährten des Philosophen gesprochen und eine Fülle an Material zusammengetragen – zu einer echten Biographie fügt sich das Ganze dennoch nicht zusammen, was allerdings auch nicht weiter schlimm ist. Es ergibt sich auch so ein plastisches Bild. Die Levinas\'sche Philosophie – eine Philosophie der Offenheit – würdigt Malka so:

Zitat Malka:
"Sein Denken erweist sich als "unbewohnbar". Es ist ein Denken ohne letztes Wort, ohne Endgültigkeit; ein Denken, in dem nichts ein für alle Mal festgelegt, nichts definitiv abgesichert ist."

Salomon Malka zitiert in seinem Buch den französischen Philosophen Jean-Luc Marion. Der fordert:

Zitat Marion:
"Man muß sich die Bedeutung von Levinas bewusst machen. Neben Bergson ist er der größte französische Philosoph des Jahrhunderts. Unter einem großen Philosophen verstehe ich jemanden, der neue Methoden der Analyse entwickelt, zu neuen Ansätzen findet, die Grundbegriffe verändert. Das heißt, dass nach ihm das philosophische Vokabular nicht mehr dasselbe ist, dass der Wortschatz sich verändert hat... In Frankreich hat es nur zwei Männer gegeben, die in diese Dimensionen vorgestoßen sind: Bergson mit offensichtlicher Eleganz und Geschmeidigkeit, Lévinas mit Härte und Gewalttätigkeit. Beide haben sie den Lauf des Flusses verändert."

"Der Humanismus verdient nur deshalb Kritik", hat Lévinas einmal notiert, "weil er nicht human genug ist." In unseren Breiten ist Emmanuel Lévinas - außerhalb der akademischen Philosophie – erst noch zu entdecken. Salomon Malkas Buch – im Geist der Liebe und voller Respekt geschrieben – bietet sich als exzellente Einstiegshilfe an.

Buchhinweis:
Salomon Malka: EMMANUEL LÉVINAS - EINE BIOGRAPHIE
C.H. Beck Verlag (2004), 314 Seiten, ISBN: 3406516599.



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