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Manuel Vázquez Montalbán: HOF DER LUST
Roman, Wagenbach Verlag (2003), 286 Seiten, ISBN: 3803131820.

Manuel Vázquez Montalbán: Hof der Lust

Roman aus dem Spanischen von Theres Moser
Rezension von Günter Kaindlstorfer


"Hof der Lust", im spanischen Original vor einem Jahr erschienen, ist so etwas wie ein Vermächtnis. In diesem Roman – einem seiner letzten – zeigt Manuel Vázquez Montalbán einmal mehr, warum er als einer der saftigsten, als einer der fabulierfreudigsten Chronisten des postfrankistischen Spanien gefeiert wird. "Hof der Lust" ist ein Buch des Abschieds. Vier Geschichten verschränkt der Autor ineinander, vier Handlungsstränge verbinden sich zu einem melancholischen Panoptikum der Trennungen, zu einem Abgesang auf die Freuden des Lebens. Da ist zunächst der Literaturwissenschafter Julio, siebzig Jahre alt und Spezialist für die höfische Dichtkunst des Hochmittelalters. Wir begegnen Julio, dem demnächst emeritierten Professor, auf einer Insel vor der galicischen Küste, wo ihm kurz vor Weihnachten ein hoher spanischer Kulturpreis verliehen werden soll.

Auf die Reise ins Galicische hat sich der Gelehrte schon gefreut, weniger der prunkvollen Zeremonie wegen, die ihm hier zuteil werden soll, als vielmehr der britischen Mittelalter-Spezialistin Myrna wegen, mit der ihn, den Professor, seit dreißig Jahren ein kontinuierlich aufrecht erhaltenes Kongreß-Pantscherl verbindet. Manuel Vázquez Montalbán schildert das Zusammentreffen der durchaus schon betagten Liebesleute – sie ist sechzig, er siebzig – mit einem Schuß Ironie. Sein Ich-Erzähler Julio erinnert sich durchaus besserer Tage.

Zitat:
"Myrna geht ins Badezimmer, ich höre das Prasseln der Dusche. Vor zehn, sogar noch vor fünf Jahren hätte ich ihren nackten Körper unter dem Wasser gesucht, wenn auch nur als Scherz, um ihr zu schmeicheln, doch nun erscheinen mir die zehn Meter, die mich von der Badezimmertür trennen, als unüberbrückbare Distanz. Vielleicht bin ich tatsächlich der alte, impotente Liebhaber, der seine Kraft nur in der Erinnerung wiederzubeleben versucht."

Der alte Herr versucht seiner Manneskraft mit Viagra auf die Sprünge zu helfen – vergebens. Am Ende des Kongresses wird Myrna ihn verlassen. Im zweiten Handlungsstrang des Romans begegnen wir der Gattin des Verlassenen, Madrona heißt sie. Während ihr Mann in Galicien pompöse Ehrungen über sich ergehen läßt, strampelt sie sich im schicksten Fitnesstudio Barcelonas die Seele aus dem Leib. Die sportliche Seniorin ist Angehörige der versnobten Bourgeoisie von Barcelona. In letzter Zeit fühlt sich Madrona gesundheitlich nicht ganz auf dem Damm. Einen Tag vor Weihnachten verkündet ihr der Hausarzt – ein früherer Liebhaber – eine tödliche Diagnose. Leukämie.

Handlungsstrang drei hat Montalbán in den Dschungeln von Chiapas angesiedelt: Dort kämpft Pedro, der Ziehsohn des Akademikerpaars aus Barcelona, zusammen mit seiner Freundin Myriam für eine bessere Welt – als Aktivist der "Ärzte ohne Grenzen". Das junge Paar wird in blutige Kämpfe verwickelt: Mordlüsterne Großgrundbesitzer und korrupte Paramilitärs trachten den beiden NGO-Aktivisten nach dem Leben. Mit knapper Not entkommen sie ins rettende Spanien, wo sie am Weihnachtstag – unversehrt an Leib und Leben – eintreffen. Die Abenteuer von Pedro und Myriam in Mexiko verweisen auf den vierten Handlungsstrang des Romans, und der führt tief zurück ins 12. Jahrhundert. Es ist die Geschichte von Erek und Enite, die Montalbán kunstvoll herbeizitiert.

"Erek und Enite" – der erste Roman aus dem Artus-Zyklus von Chrétien de Troyes, entstanden um 1170. Erek, ein junger Ritter der Artusrunde, freit die schöne Enite. Nach der Hochzeit zieht sich das Paar aus dem gesellschaftlichen Leben zurück, um in symbiotischer Zweisamkeit ganz füreinander zu leben. Das geht nicht lange gut. Enite langweilt sich, sie sehnt sich nach Abwechslung und Abenteuern. Die Eheleute ziehen los, um sich in den Kämpfen der Welt zu bewähren. Unübersehbar die Parallelen zu den anderen Figuren und Geschichten in Montalbáns Roman. In "Hof der Lust" entwickelt der katalonische Autor ein kunstvolles Geflecht von intertextuellen Anspielungen. Es geht um Liebe, Lust und Leidenschaft in diesem Buch – es geht vor allem auch ums Abschiednehmen, um die Unausweichlichkeit des Todes. Eine Art Vermächtnis, wie gesagt.
 

Buchhinweis:
Manuel Vázquez Montalbán: HOF DER LUST
Roman, Wagenbach Verlag (2003), 286 Seiten, ISBN: 3803131820.



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