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Michel Houellebecq: DIE MÖGLICHKEIT EINER INSEL
Roman, DuMont Verlag (2005), 445 Seiten, ISBN: 3832179283

Michel Houellebecq: Die Möglichkeit einer Insel

Roman aus dem Französischen von Uli Wittmann
Rezension von Günter Kaindlstorfer


In zarter Überspitzung darf man konstatieren: Houellebecqs jüngstes Opus besitzt die Skandaltauglichkeit eines frühen Jules Verne. Natürlich, der kraftmeiernde Untergangsprophet bemüht sich auch diesmal nach Kräften zu schockieren, mit deftigen Jokes und kaltschnäuzigem Kulturpessimismus, dahinter schimmert aber auch in diesem Buch, wie in Houellebecqs früheren, eine fast sentimental zu nennende Sehnsucht nach dem Romantischen durch, wie auch der "Spiegel" in seiner Besprechung des neuen Houellebecq-Romans festgestellt hat.

Dabei ist Houellebecqs neues Buch, "Die Möglichkeit einer Insel", vieles zugleich: satirische Zeitdiagnose und elegisches Science-Fiction-Epos, Klon-Saga und melancholischer-Soft-Porno. Der 47jährige hat seine Erzählung auf zwei Zeitebenen angesiedelt. Zum einen spielt das Buch im Heute, einem satirisch überhöhten Heute, wie man hinzufügen muß, zum anderen bietet Houellebecq düstere Ausblicke in eine huxleyhafte Zukunft, die von bösen Steinzeit-Barbaren und geklonten Neo-Menschen geprägt ist.

Dem Heute sind siebzig bis achtzig Prozent der 440 Romanseiten gewidmet. Houellebecq macht uns mit "Daniel 1" bekannt, einem erfolgreichen Bühnen-, Film- und Fernsehkomiker, der mit politisch inkorrekten Flapsigkeiten Furore – und gutes Geld macht.

Zitat:
"Ich begann mit kleinen Sketchen über Patchwork-Familien, über die Journalisten von "Le Monde" und die Armseligkeit der Mittelschicht im allgemeinen. Ich war sehr überzeugend in der Rolle von Intellektuellen, die die Hälfte ihrer Karriere bereits hinter sich hatten und angesichts des entblößten Bauchnabels und der aus der Hose hervorschauenden Strings ihrer Töchter plötzlich inzestuöse Gelüste entwickelten. Kurz gesagt, ich war ein scharfer Beobachter der gegenwärtigen Realität... Um etwas konkreter zu werden, hier einer der Scherze, den ich bei meinen Auftritten häufig angebracht habe:
\'Weißt du, wie man den Fettkloß nennt, der die Scheide umgibt?\'
\'Nein.\'
\'Frau.\'"

Obwohl er geschmacklose Knaller dieser Art zum Besten gibt, heimst Houellebecqs Protagonist auch in progressiven Blättern gute Kritiken ein. Man hält seinen Humor für erfrischend, seine Tabubrüche für aufklärerisch. Daniel 1 – eine erfolgreiche Mischung aus Harald Schmidt und Theo van Gogh sozusagen. Als der Komiker schließlich auch mit antiislamischen und antisemitischen Gags zu punkten versucht, setzt es Strafanträge und Morddrohungen. Besseres kann ihm nicht passieren, Daniels Auftritte finden nun ausnahmslos in ausverkauften Häusern statt. Houellebecqs Held hält sich, wie sein Erfinder, an ein eisernes Gesetz der Fungesellschaft: Tabubruch rechnet sich, auch finanziell.

Zitat:
"Als ich Isabelle kennenlernte, war ich bei etwa sechs Millionen Euro angelangt. Eine Balzacsche Figur würde sich in diesem Stadium eine Prachtwohnung kaufen, die sie mit Kunstgegenständen füllt, und sich wegen einer Tänzerin zugrunde richten. Ich wohnte in einer banalen Dreizimmerwohnung im 14. Arrondissement und hatte noch nie mit einem Top-Model geschlafen - hatte nicht mal die geringste Lust darauf verspürt. Ich hatte wohl nur einmal mit einem halbwegs bekannten Mannequin kopuliert; aber sie hat keinen unauslöschlichen Eindruck auf mich hinterlassen."

Houellebecq schreibt mit machistischer Attitüde, man kennt das; findet man dergleichen degoutant, lasse man – oder frau – am besten die Finger von seinen Büchern. Akzeptiert man den Macho-Schmäh des Pariser Provo-Stars aber als Stilmittel, lesen sich Houellebecqs Auslassungen über den Schicki-Micki- und Medienbetrieb von heute hochamüsant. Die oft gestellte Diagnose, daß Houellebecq ein "düsterer", ein "depressiver" Autor sei, sei hiermit ausdrücklich angefochten. Selten hat der Franzose witziger und mit mehr Drive erzählt als in den beiden tragikomischen Liebesgeschichten, die er seinen Helden Daniel 1 durchleben läßt. Beide Amouren enden traurig: sowohl die zu Isabelle, der intellektuellen Chefredakteurin des Teenagermagazins "Lolita", als auch die zu Esther, einer sinnlichen Film- und Fernsehdiva aus Madrid. Wer die vierzig, erst recht die fünfzig überschritten hat, beklagt Houellebecq, wird eben zum Loser auf dem Markt der Liebe und der Lüste. Da macht auch Daniel 1 keine Ausnahme. Am Ende wird er, rasend vor Begierde nach der verflossenen Spanierin, freiwillig aus dem Leben scheiden. Vorher allerdings, und da beginnt der Science-Fiction-Strang des Romans, läßt Houellebecq seinen Helden einer Sekte beitreten, den sogenannten Elohim. Die Verheißung, die den Elohim-Jüngern zuteil wird, klingt verlockend: ewige Wiedergeburt durch Klonen.

Zitat:
"Die Elohimiten lebten sehr gesund. Sie wollten nicht altern; aus diesem Grund rauchten sie nicht. Drogen waren eher verpönt. Was die Ernährung betraf, waren sie ziemliche Schonkost-Freaks. Gesundheit – war das Ziel. Alles, was gesund war, und insbesondere alles, was mit Sex zu tun hatte, war erlaubt. Auf ihrer Website und in den Broschüren kam das deutlich zum Ausdruck: netter, etwas fader Kitsch, beeinflußt von den Präraffaeliten, mit einem Hang zu dicken Titten im Stil von Walter Girotto."

Houellebecqs Held, Daniel 1, lässt sich klonen. In den entsprechenden Passagen des Romans brilliert Houellebecq als Suspense-Erzähler, der einen spannenden Plot wie sein Landsmann Jules Verne mit technisch-wissenschaftlichen Utopien garniert. In einem zweiten Handlungsstrang kommen nun die Klone des Pariser Brachialhumoristen Daniel 1 zu Wort, Daniel 24 und Daniel 25, seine Wiedergänger in ferner Zukunft. Daniels Klone führen ein denkbar trostloses Leben in einer apokalyptischen oder post-apokalyptischen Welt. Ihr Problem: Der wissenschaftliche Fortschritt hat alles weggezüchtet aus ihrer genetischen Grundausstattung, was Leiden schafft - Gefühle vor allem. Die Neo-Menschen verkehren und kommunizieren ausschließlich via Daten-Highway miteinander. Ihr Emotionshaushalt ist angenehm heruntergedimmt. Lachen, Weinen, Mitleid, Güte, Liebe – alles weggezüchtet. Leider macht das die Neo-Menschen nicht glücklicher. Ihr Leben plätschert eintönig, melancholisch, langweilig dahin.

Die science-fiction-haften Passagen stellen das eigentliche Problem des Houellebecq-Romans dar: So eintönig wie das Leben der Klone kommen auch die Schilderungen ihres Alltags daher. Michel Houellebecq hat eine grimmige Anti-Utopie geschrieben, ein spannendes, über weite Strecken amüsantes Buch mit erklecklichen Längen. Literaturkritische Jubelchoräle sind angesichts dieses Werks ebenso wenig angebracht wie hämische Verrisse. Houellebecq hat einen Roman mit Stärken vorgelegt, aber eben auch: mit Schwächen. Und den Hype um Houellebecq jüngstes Opus nehme man als das, was er ist: Marketing-Gekreisch.


Buchhinweis:
Michel Houellebecq: DIE MÖGLICHKEIT EINER INSEL
Roman, DuMont Verlag (2005), 445 Seiten, ISBN: 3832179283.



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