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James Salter

"Es war schwer, ein Nichts zu sein"

Der amerikanische Romancier JAMES SALTER berichtet in seinen Memoiren von aufwühlenden Sex-Affären, seiner Freundschaft mit Robert Redford und den Jahren als Kampfflieger in Korea.
Von Günter Kaindlstorfer.


James Salter ist glänzend gelaunt. Mit elastischem Schritt betritt er die Lobby, er kommt auf mich zu, schüttelt mir die Hand, legt mir die Linke um den Oberarm. Der Mann ist Amerikaner, man merkt es, bevor er den Mund aufmacht, an seiner Lässigkeit, dem gewinnenden Charme, dem offensiven Lächeln, mit dem er auf sein Gegenüber zugeht. Wir nehmen unweit der Bar Platz, lassen uns in zwei ausladende Fauteuils mit festem, blauem Stoffbezug sinken, ein kräftiges Blau ist es, gitanesblau, wie Salter schreiben würde. Der Schriftsteller bestellt Martini, mustert mich neugierig. "Okay", sagt er, "was wollen Sie wissen?" James Salter ist wirklich entspannt.

Wie auch anders? Seit drei, vier Jahren gilt der Spätentdeckte als Star, nicht nur in Deutschland, wo die Übersetzung seines Romans "Lichtjahre" 1997 als literarische Sensation gefeiert wurde, sondern auch in seiner amerikanischen Heimat. Dort war "Light Years" in den Siebzigern ohne nennenswertes Echo erschienen, bis in die neunziger Jahre hinein wurde Salter in den USA als Romancier der, man könnte sagen, zweiten Garnitur gehandelt. Der große Erfolg kam spät – und er kam auf dem Umweg über Europa. "Ich fühle mich überhaupt nicht als Star", sagt Salter. "Können Schriftsteller überhaupt Stars sein? Ich weiß es nicht. Beim Film oder im Rock-Business mag es so etwas geben, aber in der Literatur, kann man da überhaupt von Stars sprechen?"

In seiner Autobiografie "Verbrannte Tage", soeben im Berlin Verlag erschienen, zeichnet Salter seinen Lebensweg vom verwöhnten New-Yorker Bürgersöhnchen zum Absolventen der Militärakademie von West-Point und schließlich zum gefeierten Romancier nach. "Wenn man jung ist, meint man, jeder fühle wie man selbst", erinnert sich der Schriftsteller: "Später wird einem klar, dass dem nicht so ist. Schließlich stimmt es wieder. Am Ende sind wir alle arm. Die Sätze sind gesprochen. Die Bühne ist kahl und leer."

In seinen Memoiren riskiert Salter einen Blick zurück auf das Stück, das auf dieser Bühne gegeben wurde – ein durchaus glanzvolles Werk, wie man feststellen darf, trotz karger, monotoner Momente. Da ist zunächst die Kindheit in New York. Salters Großvater, Jacob Horowitz, kommt aus dem polnischen Schtetl. "Ich habe ihn erst mit achtzig kennen gelernt. Er war meistens unrasiert und roch nicht gut." Salters Vater, George, macht Karriere als Geschäftsmann, seine Mutter, ein Upper-Class-Girl aus Washington D.C., fühlt sich in der Ehe dennoch alles andere als glücklich. "Sie hatte eine aufregende Jugend", konstatiert der Sohn, "die Eintönigkeit kam später."

James Salter wird in Baltimore geboren. Er ist noch ein Baby, als die Familie nach New York übersiedelt. Man wohnt zunächst zur Untermiete in der achtundneunzigsten Straße. Als die Geschäfte von Salter senior erwähnenswerte Erträge abzuwerfen beginnen, übersiedelt man an die East Side, in eines der sogenannten besseren Viertel. "Ich war ein gehorsamer Junge", erinnert sich Salter. "Ich war meinen Eltern nahe und hatte Ehrfurcht vor meinen Lehrern – ein typisches Stadtkind, blass, behütet, ahnungslos."

Der Bub beginnt zu lesen, Byron, Dickens, Tolstoj in Kinderausgaben, dann kommen die Feriencamps mit ihren unvermeidlichen Boxkämpfen, Lagerfeuern, Kanufahrten. Eine amerikanische Jugend wie aus dem Bilderbuch. Salter gerät ins Schwärmen in seiner Autobiographie: "New York, die unsterbliche Stadt meiner Jugend – die großen Appartementhäuser mit ihren blank polierten Lobbys, das Metropolitan Museum, flankiert von abgenutzten Rasenflächen, die Villen und Stadthäuser. Dann gab es die unsichtbare Stadt, die ich nicht kannte – die sexuelle Stadt und ihre Geografie. Durch spätere Liebesakte würde sie mir für immer im Gedächtnis bleiben."

Zuvor aber, als Dreizehnjähriger, macht Salter jene verschwitzt-erotischen Erfahrungen, die in diesem Alter offenbar niemandem erspart bleiben: Auf Teenagerparties ergibt er sich dem Vergnügen des Flaschendrehens. "Eine peinliche Sache." Stärker als diese sexuellen Initiationen prägt ihn das Erlebnis der Natur; wer Salters landschaftstrunkene Romane gelesen hat, weiß um die dominierende Rolle der Natur in ihnen. "Der Hudson war der Fluss meiner Kindheit", notiert er, "der Fluss der Sonnenuntergänge und der Hochzeitsfahrten, mein ureigener Fluss. Einmal im Jahr lag hier die Kriegsflotte vor Anker, nach fernen Städten benannte Kreuzer und breite Schlachtschiffe, die später in Pearl Harbour versenkt wurden." Möglich, dass solche Impressionen die romantisierende Sehnsucht nach Kampf und Bewährung in ihm weckten, nachdrücklicher dürfte sich da allerdings der Einfluss des Vaters ausgewirkt haben.

George Horowitz – Salters eindrucksvoller, am Glück des Sohnes ganz und gar desinteressierter Vater – hatte die berüchtigte Militärakademie von West-Point 1919 als Jahrgangsbester abgeschlossen. Ihm zuliebe meldet sich James zur Aufnahmeprüfung. Überraschend wird er aufgenommen – eine entscheidende Wende in seinem Leben. Zwischen Gitterfenstern und neugotischen Fassaden quält sich der junge Mann mit dem unbarmherzigen West-Point-Drill. "Es war eine harte Schule. Man trat in ein Inferno. Ich erinnere mich an das Schwitzen, die Hitze und den Durst, die Seligkeit, unerlaubterweise in langen Zügen am Wasserspender zu trinken. Das Wichtigste in West-Point war, sich irgendwie einzufügen, unauffällig zu werden, so wie die anderen zu sein." Das fiel dem chronisch renitenten Salter nicht leicht. "Es war schwer, ein Nichts zu sein", meint er rückblickend: "Es gab Kadetten, die zu Bettnässern wurden, es gab andere, die weinten. Einer erhängte sich."

In dieser Macho-Welt wächst Salter heran. Sie hat ihn mindestens so sehr geprägt wie die nach außen hin behüteten Jahre seiner Kindheit. "Ich habe mich in meinen Büchern immer mit der Frage auseinander gesetzt, was es bedeutet, ein Mann zu sein." Männlichkeit hat für Salter wenig mit Aggressivität, Kompromisslosigkeit, Härte zu tun, mehr mit Haltungen wie Gelassenheit, Pflichtbewusstsein, Verantwortungsgefühl, letztlich mit dem Akzeptieren des eigenen Sterbenmüssens. "Leben und Tod sind eine Einheit", heißt es in "Verbrannte Tage", "es dauert lange, bis man das begreift."

Nach der Ausbildung zum Kampfflieger wird James Salter nach Asien versetzt. Der Zweite Weltkrieg ist gerade zu Ende, Japan besiegt. Der Mittzwanziger steuert Transportflugzeuge von Manila nach Honolulu und zurück, bringt hunderte von mehr oder weniger waghalsigen Flügen hinter sich. Dann kommt Kampfpilot Salter in Europa zum Einsatz, in Deutschland, Frankreich, Italien, Nordafrika. Zwischendurch wird geheiratet, eine Farmerstochter aus Virginia. In seinen Memoiren gibt sich der Schriftsteller bemerkenswert wortkarg, was diesen Teil seiner Biographie betrifft. Jedenfalls scheint es eine Menge Love-Affairs gegeben zu haben. Salter erinnert sich an heiße Affären: an die Frau eines Air-Force-Captains auf Hawaii, das exzentrische Filmstarlet aus Rom, eine heißblütige junge Französin, der er Jahre später in seinem melancholischen Meisterporno "Ein Spiel und ein Zeitvertreib" ein Denkmal gesetzt hat...

"Ich messe dem Sex nicht mehr Bedeutung zu als andere Männer auch", erklärt Salter. "Ich bin kein Sex-Maniac, wenn Sie das vielleicht glauben." "Ich will ihnen wirklich nicht nahe treten", sage ich, "aber die Schilderung sexueller Vorgänge nimmt in Ihren Büchern doch einen äußerst prominenten Platz. Woher kommt das?" "Ich beschäftige mich mit Erotik, weil sie mit gesteigerter Lebensintensität zu tun hat. Der Sex macht das Leben intensiv, deshalb interessiere ich mich für ihn."

Ein intensives Leben, wenn auch auf anderem Terrain, hat James Salter auch in Korea geführt. Im Februar 1952 wird er als Jagdflieger im Nordosten des asiatischen Kontinents eingesetzt. Salter, 27, fliegt Kampfeinsätze gegen die sowjetischen MiG-15: "Ich bin mir nicht sicher, ob mich der Krieg verändert hat", resümiert er heute, "vermutlich hat er mir etwas von meiner Weichheit genommen, ich weiß es nicht. Meine Kriegserfahrungen sind nicht mit dem zu vergleichen, was Remarque beschrieben hat, auch nicht mit den Erlebnissen von GIs in Vietnam, die der Krieg tatsächlich zerstört hat." Nach der Entlassung aus der Air Force entschließt sich James Salter, mit der Schriftstellerei ernst zu machen – die zweite Wende in seinem Leben. "Die Fliegerei war vom Flair des Abenteuers umgeben, das war eine aufregende Erfahrung vierzehn Jahre lang, aber ich hatte das Bedürfnis, in meinem Leben noch etwas anderes zu machen, etwas Essenzielles."

Salter klemmt sich hinter den Schreibtisch, seine Erfahrungen als Kampfpilot verarbeitet er in dem Buch "The Hunters". Shortstories, Essays und Romane entstehen, er versucht sich als Drehbuchautor, später als Filmregisseur. In den sechziger und siebziger Jahren gehört er zum intellektuellen Jetset New Yorks, er verkehrt mit Irwin Shaw und Yoko Ono, mit Sharon Tate und Roman Polanski, er sucht die Freundschaft Fellinis ("ein liebenswerter Onkel, dem schwarze Haare aus den Ohren wuchsen") und Robert Redfords, für den Salter das eine oder andere Filmdrehbuch schreibt ("Redford wirkte immer wie auf der Durchreise, nicht ganz da. Die Wirklichkeit ging über ihn hinweg wie eine flüchtige Liebesbeziehung").

James Salters Autobiografie ist ein eindrucksvolles Stück Literatur. Der ganz große Wurf ist sie dennoch nicht. Das hat mehrere Gründe: Zum einen scheint vieles weggelassen, ausgespart, fast möchte man sagen: wegzensuriert, was Salter-Kenner, Salter-Liebhaber interessiert hätte, zum anderen weist das Werk deutliche Längen auf, etwa in den ausufernden Air-Force-Passagen. Zum dritten aber fällt das Buch in mehrere, verschieden sorgfältig gearbeitete Teile auseinander: Das letzte Viertel ist das schwächste. Der sonst so stilsichere Autor verliert sich in Tratsch und Klatsch über Leute, die in Europa längst nicht denselben klingenden Namen haben wie an der amerikanischen Ostküste. Gegen Ende hin wirkt vieles fragmentarisch, von der Spannung der ersten 300 Seiten ist nichts mehr zu spüren. Schade, Salter hätte sein Oeuvre mit einer exzeptionellen Autobiografie krönen können. Eine vergebene Chance.

Dass die Lektüre von "Verbrannte Tage" dennoch lohnt, hat mit den geglückteren Passagen des Buchs zu tun, und das sind nicht wenige. Im Rückblick auf seine Erfahrungen im Koreakrieg notiert der Autor: "Ich denke an die schrecklichen Verluste von damals, mehr als vierzig Jahre ist es her. Die Kommandeure sind alt geworden und gestorben, die Kämpfe über dem Jalu-Fluss in der Dämmerung sind vergessen. Wir haben uns nach dem Sieg gesehnt. Kein Mann auf der Erde war reich genug, ihn zu kaufen - und er war nichts wert. Am Ende war alles gar nichts wert."

James Salter ist der große Resignative unter Amerikas Autoren. Gleichwohl überrascht der 75jährige immer wieder mit überraschenden Einsichten und poetischen Formulierungen. In der Erinnerung an die Jahre der Kindheit schreibt er: "Der Geschmack früher Dinge bleibt. Ich spüre die Frische gesalzener Tomaten in meinem Mund, die Rühreier meiner Großmutter, das unerwartet verschluckte Meerwasser." Das ist er, der unverwechselbare Salter-Sound, dem seine Fans so rettungslos verfallen sind. Der Geschmack früher Dinge... und zuletzt: das Alter. Am Ende seiner Buchs protokolliert Salter: "Ein Gefühl von Mut. Großes Verlangen weiterzuleben." Kein schlechtes Resümee für einen Herrn von Mitte siebzig.

ERSCHIENEN in der "Berliner Zeitung" am 26. September 2000
 

DAS BUCH:
James Salter: VERBRANNTE TAGE - ERINNERUNGEN
aus dem Englischen von Beatrice Howeg
Berlin Verlag (2000), 504 Seiten, ISBN: 3827000998.



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