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Henning Mankell

"Ich mag keine Serienkiller"

HENNING MANKELL über sein Verhältnis zu Gewaltverbrechern, seine Liebe zu Verdi-Opern und die Flutkatastrophe in Mocambique. Von Günter Kaindlstorfer.

Henning Mankell, was interssiert Sie an Serienkillern?

Mankell: An sich gar nichts. Ich versuche nur, den Spiegel des Verbrechens zu nutzen, um gesellschaftliche Entwicklungen zu beleuchten. Das ist eine alte literarische Tradition. Sie können zu den alten Griechen zurückgehen, zu Shakespeare und Joseph Conrad, die haben alle dasselbe gemacht. Ich werde manchmal von Journalisten gefragt: Was ist Ihrer Meinung nach die beste Kriminalgeschichte aller Zeiten? Ich antworte dann stets: "Macbeth" von Shakespeare. Ich würde nie einen Kriminalroman um seiner selbst willen schreiben, das wäre zu langweilig.

Kommissar Wallander, die Hauptfigur Ihrer Krimis, scheint eine gewisse Ähnlichkeit mit Ihnen zu haben. Er ist genauso alt wie Sie, er fährt dasselbe Auto, einen Peugeot...

Mankell (winkt ab): Nein, nein, ich sehe wenig Gemeinsamkeiten zwischen uns. Da und dort mag es Parallelen geben, okay, das ist unvermeidlich, wenn man 4000 oder 5000 Seiten über einen Menschen schreibt, wir sind beispielsweise beide Workaholics und wir lieben beide die Oper. Aber davon abgesehen ist Wallander ein ganz und gar eigenständiger Mensch!

Sie sind Opernfan?

Mankell: Ja, aber nur als CD-Konsument, Opernhäuser besuche ich selten. Ich bleibe lieber zu Hause und lege mir Platten auf.

Welche Platten zum Beispiel?

Mankell: Mozart, Verdi, Puccini. Ich mache die Augen zu und lausche der Musik. Das ist das größte.

Wie steht es mit Wagner?

Mankell (rümpft die Nase): Wagner ist nicht mein Ding. Ich mag die Italiener und Franzosen lieber. Wenn wir schon von Oper sprechen, müssen wir auch von klassischer Musik sprechen: Ich liebe Beethoven und Bach über alles... Ich danke dem Schicksal, daß ich nicht in die Zeit vor Bach hineingeboren wurde.

Bleiben wir bei Ihrer Hauptfigur, Kommissar Wallander. Was macht den Erfolg der Wallander-Bücher aus?

Mankell: Das kann man nicht erklären. Es gibt in der Kunst immer einen irrationalen Aspekt. Ich glaube, der Erfolg der Wallander-Krimis hat wesentlich mit der Tatsache zu tun, daß sich der Kommissar in einem fort ÄNDERT. Er ist im vierten Buch nicht derselbe, der er im ersten war, er ist auf Seite 400 eines Romans nicht derselbe, der er auf Seite 30 war. Wallander ändert sich andauernd, wie Sie und ich sich ändern. Das macht ihn lebendig. Und das unterscheidet ihn von Detektiv-Figuren wie Sherlock Holmes oder Hercule Poirot, die immer die gleichen bleiben. Letztlich handelt es sich dabei um stereotype Charaktere. Damit eine Romanfigur aber lebendig wirkt, muß sie sich ändern.

Ihr Bücher wirken politisch überaus korrekt, Herr Mankell. Hängt das mit Ihrer 68er-Vergangenheit zusammen?

Mankell: Kann schon sein. Mit dem 68er-Mythos kann ich allerdings wenig anfangen, für mich waren die sechziger Jahre insgesamt wichtig. Damals wurden viele Türen aufgestoßen, in der Musik, in der Kultur, vor allem die Türen zur Dritten Welt.

Wo steht Ihr Kommissar Wallander politisch?

Mankell: Er ist Sozialdemokrat, glaube ich. Ich habe ihn nie gefragt, aber ich glaube, er ist einer.

Hat er nicht auch konservative Tendenzen, da und dort?

Mankell: In gewisser Weise ist er ein altmodischer Mensch, da haben Sie recht, er glaubt an so antiquierte Dinge wie Mitgefühl, Gerechtigkeit und Solidarität. Der Kommissar weiß, daß man als Mensch immer zwei Möglichkeiten hat: Man sitzt vor dem Fernseher und hört draußen vor dem Fenster jemanden um Hilfe schreien. Jetzt kann man entweder den Fernseher lauter drehen, damit man die Schreie nicht mehr hört, oder man kann rausgehen und nachschauen, ob man helfen kann. Kurt Wallander gehört zu den Menschen, die sich fürs Rausgehen entscheiden. Dadurch wirkt er manchmal ein bißchen konservativ, das kann schon sein.

Ihre Krimis spielen allesamt in der schwedischen Kleinstadt Ystad. Die grausamen Verbrechen, die in diesen Büchern begangen werden, würden allerdings besser in eine Großstadt passen, nach Stockholm oder Hamburg, oder noch besser, nach New York.

Mankell: Ich muß Ihnen widersprechen. Vor zwanzig oder dreißig Jahren hätten Sie noch recht gehabt, damals waren Gewaltverbrechen im großen und ganzen ein Phänomen der großen Städte, es mag Ausnahmen gegeben haben, aber grosso modo war es ein Phänomen der Metropolen. Das hat sich geändert. Was früher in Stockholm oder Hamburg passiert ist, etwa auf dem Drogensektor, kann heute jederzeit auch in Ystad passieren. Das ist einer der Gründe, warum meine Krimis dort spielen.

Einverstanden, trotzdem scheint der Landkreis Ystad besonders stark von Gewaltverbrechen betroffen zu sein. Wenn man Ihre Bücher ernstnimmt, müßte doch hinter jedem Busch ein Toter liegen. Halten Sie das für glaubwürdig?

Mankell: Darum geht es gar nicht. Ich schreibe fiktive Geschichten, das weiß jeder. Wenn Sie den Unterschied zwischen Fiktion und Realität nicht erkennen können, tut es mir leid.

Würden Sie sich als "realistischen Schriftsteller" bezeichnen?

Mankell: Absolut, ja, auch im buchstäblichen Sinn. Es ist ja nicht meine morbide Phantasie, die sich die gräßlichen Verbrechen ausdenkt, die in meinen Büchern vorkommen. Es macht mir keinen Spaß, so etwas zu schreiben, wirklich nicht. Was immer ich beschreibe, könnte tatsächlich irgendwo passieren. In diesem Sinn bin ich Realist. Ich könnte mir nie so brutale Dinge ausdenken, wie die Wirklichkeit sie tagtäglich hervorbringt.

Sehen Sie sich auch als Moralisten?

Mankell: Ich hoffe, ich bin einer.

Für Sie ist das kein Schimpfwort?

Mankell: Aber warum denn? In meinen Büchern versuche ich Fragen zu stellen über die Probleme und Optionen, die wir in unserer Gesellschaft haben. Ich gebe ja keine Antworten, ich formuliere nur Fragen.

Haben Sie als Bub manchmal davon geträumt, Polizist zu werden?

Mankell: Niemals. Ich wollte nicht mal Lokomotivführer werden. Ich hatte immer nur einen einzigen Traum: Ich wollte schreiben.

Den haben Sie verwirklicht.

Mankell: Gottseidank, ja.

Woher nehmen Sie das kriminalistischer Fachwissen?

Mankell: Ich recherchiere, wenn es notwendig ist. Wenn Sie meine Bücher genau lesen, werden Sie allerdings bemerken, daß kriminalistisches Fachwissen gar keine besondere Rolle spielt. Ich habe Freunde bei der schwedischen Polizei, die kann ich jederzeit um Rat fragen. Und ich weiß: Wenn es mir notwendig erscheint, bekomme ich jederzeit Zutritt zum zentralen schwedischen Kriminallabor. Aber normalerweise brauche ich diese Informationen nicht. Technische Details spielen in meinen Büchern wie gesagt keine wichtige Rolle. Was mich interessiert, sind die Gedanken meiner Figuren. Ich lasse Wallander oft vier, fünf Seiten lang spazierengehen und nachdenken. Das erscheint mir wesentlich interessanter als die Auseinandersetzung mit technischen Kinkerlitzchen. Was denkt der Kommissar, wenn er den Schauplatz eines Mordes betritt? Was geht ihm durch den Kopf, wenn sein Vater gestorben ist? Das interessiert mich. Technische Details sind mir nicht so wichtig.

Herr Mankell, Sie haben einige sehr erfolgreiche Kinderbücher geschrieben. Erinnern Sie sich gern an Ihre Kindheit?

Mankell: Es gibt schöne und weniger schöne Erinnerungen.

Sie sind bei Ihrem Vater aufgewachsen ­ ohne Mutter. Hat Sie Ihnen gefehlt?

Mankell: Nach der Scheidung meiner Eltern habe ich bei meinem Vater gelebt, das stimmt, gemeinsam mit meinen Geschwistern ­ ich habe noch eine Schwester und einen Bruder. Mein Vater hat als Jurist gearbeitet, wir sind nach der Scheidung in die Provinz Härjedalen gezogen, in den Norden Schwedens, in eine kleine Stadt mit zweitausend Einwohnern. In den fünfziger Jahren war die Tatsache, daß wir bei meinem Vater lebten, ein kleiner Skandal, viele Leute hatten Schwierigkeiten, das zu verstehen, denn normalerweise lebten die Kinder nach einer Scheidung bei der Mutter. Verschärft wurde die Situation durch die Tatsache, daß mein Vater RICHTER war. Aber gut, so war es eben, wir kamen im großen und ganzen gut zurecht mit dieser Situation. Wir wohnten in einem kleinen Ort,und blieben dort bis zum Ende der Pflichtschule. Dann mußten wir wieder umziehen, in eine größere Stadt, damit meine Geschwister und ich eine höhere Schule besuchen konnten. Der Ort, in dem ich meine Kindheit verbracht habe, war wirklich sehr klein, er hatte vielleicht 2000 Einwohner.

Waren Sie ein glückliches Kind?

Mankell: Ich möchte nicht zu viel darüber sprechen, aber eines kann ich Ihnen erzählen: Ich habe sehr früh in meinem Leben begriffen, daß die Phantasie eine gewaltige Kraft ist. Sie ist nicht nur nützlich, wenn man ein Baumhaus bauen oder eine schöne Zeichnung machen will, sie kann auch helfen, Probleme zu bewältigen. Ich kann mich gut erinnern: Als Kind habe ich mir Phantasiegestalten erfunden, mit denen ich gespielt und mich unterhalten habe. Das hat mir geholfen, bestimmte Perioden meiner Kindheit zu überstehen. Seither weiß ich: Die Phantasie ist eine gewaltige Kraft. Es klingt jetzt vielleicht pathetisch, aber ich sage es trotzdem: Manchmal hilft sie sogar, zu überleben.

Haben Sie Ihre Mutter wiedergesehen?

Mankell: Ja, als ich fünfzehn war. Damals wurden wir Freunde. Und wir blieben es ­ bis zu ihrem Tod.

Sie sind in Nordschweden aufgewachsen ­ das stellt man sich ziemlich einsam vor.

Mankell: Das ist es, das ist es wirklich. Vielleicht bin ich als Erwachsener nach Schonen übersiedelt, in den Süden des Landes, weil die Landschaft dort offener ist, weil es weniger Wälder gibt als im Norden. Mein Bedarf an Wäldern ist gedeckt, das kann ich Ihnen sagen. Im Norden gibt es Wälder und nichts als Wälder. Dort kann es auch im Juni noch schneien: Bis nach Stockholm fuhr man in den fünfziger Jahren zwei Tage mit dem Zug. Das war eine Weltreise.

Heimweh nach Härjedalen haben Sie heute nicht mehr?

Mankell: Nein. Aber wenn ich die Gegend heute besuche, dann spüre ich deutlich, daß dort meine Wurzeln liegen. Die STILLE, die dort herrscht... unglaublich. Sie können sich diese Stille nicht vorstellen. Ich nehme auch sofort den Dialekt wieder an, wenn ich in die Gegend komme. Man trägt die Prägungen der Kinderzeit eben ein Leben lang mit sich.

Warum schreiben Sie für Kinder? Was reizt Sie daran?

Mankell: Wir haben die Verpflichtung, mit der nächsten Generation zu sprechen. Das Schreiben für Kinder ist ungeheuer schwer, sie sind kritischer als Erwachsene. Man kann sie als Autor nicht so leicht hinters Licht führen.

Sehen Sie sich als Alt-68er?

Mankell: Nein, um Gottes Willen, um das Jahr 1968 wird viel zuviel Wirbel gemacht. Ich bin ein Sechziger.

Was ist das denn?

Mankell: Na ja, die sechziger Jahre haben mich geprägt wie kein anderes Jahrzehnt, ich war zu jener Zeit ein Teeanger, das sind ungeheuer wichtige Jahre. Damals haben wir begonnen, die Dritte Welt zu entdecken, damals haben wir die Muffigkeit der Fünfziger hinter uns gelassen und die Türen zur Welt aufgerissen.

Welche Bedeutung hatte die damalige Musik für Sie?

Mankell: Ich war Jazz-Fan, ich entdeckte Miles Davis zu jener Zeit. Auch Bob Dylan. Das war sehr wichtig für mich.

Und sie sexuelle Revolution?

Mankell: Die war nicht so wichtig.

Warum nicht?

Mankell: Ich hatte nie Probleme mit Sex.

Der dänische Regisseur Bille August wird demnächst eines Ihrer Wallander-Bücher verfilmen. Ihre Meinung dazu?

Mankell: Bille August ist ein guter und anerkannter Filmregisseur. Ich vertraue ihm. Natürlich kann bei einer Literaturverfilmung immer ein erbärmliches Resultat herauskommen. Aber darauf habe ich keinen Einfluß, das ist Sache des Regisseurs, der Schauspieler, des Produzenten. Ich werde mich in die Realisierung des Films bestimmt nicht einmischen. Roman und Film sind immer zwei Dinge. Das weiß jeder. Aber ich habe keinen Zweifel, daß Bille August die künstlerische Potenz hat, etwas Gutes zu machen.

Sie sind mit Eva Bergman verheiratet, einer Tochter Ingmar Bergmans. Haben Sie genug Zeit für Ihre Ehe?

Mankell: Wir nehmen uns diese Zeit. Meine Frau leitet ein Theater in Göteborg, ich lebe sechs bis sieben Monate im Jahr in Afrika. Das ist manchmal schwierig, das stimmt, aber wenn man die gemeinsame Zeit intensiv nützt, kann man eine wunderbare Beziehung führen.

Welches Verhältnis haben Sie zu Ihrem Schwiegervater Ingmar Bergman?

Mankell: Wir sind Freunde. Gute Freunde. Ich verehre seine Filme, er schätzt meine Arbeit.

Sie wohnen zur Zeit in Mocambique, Herr Mankell. Wie haben Sie die Flutkatastrophe der letzten Wochen erlebt?

Mankell: Die Situation hier in Maputo ist relativ gut, wenn man sie mit den Verhältnissen in anderen Landesteilen vergleicht. Eine Millionen Menschen sind auf der Flucht vor den Wassermassen, Malaria und Cholera brechen aus, Straßen, Brücken und Wohnhäuser sind zerstört, die Ernte eines Jahres ist vernichtet. Insgesamt ist es eine schreckliche Situation.

Sind Sie persönlich betroffen?

Mankell: Verglichen mit anderen geht es mir blendend. Ich wohne im Stadtzentrum von Maputo. Anfang Februar, als die Regenfälle begannen, tropfte es durchs Dach, dann floß das Wasser in Strömen, aber damit wurde ich irgendwie fertig. Am schwersten hat mich getroffen, daß das Theater überflutet wurde, in dem ich arbeite.

Was kann der Westen tun, um den Menschen in Mocambique zu helfen?

Mankell: Die Hilfe muß intensiviert werden. Es fehlt an allem ­ an Essen, Zelten, Medikamenten. Sobald das Wasser zurückgeht, muß man dem Land beim Wiederaufbau helfen. daß die reichen Nationen jetzt die Schulden Mocambiques streichen, kann nur ein erster Schritt sein.

Warum sind Sie Mitte der achtziger Jahre nach Mocambique übersiedelt, Herr Mankell?

Mankell: Das hat einen einfachen Grund: Ich bin 1985 von der Theatermacherin Manuela Soeiro eingeladen worden, beim Aufbau des ersten professionellen Theaters in Maputo mitzuwirken, als Autor und als Regisseur. Damals haben wir das Avenida-Theater gegründet. Mit einigem Stolz kann ich heute sagen, daß unser Haus zu den besten und profiliertesten Bühnen im Süden Afrikas gehört.

Welche Stücke spielt das Avenida-Theater?

Mankell: Wir könnten ohne weiteres Shakespeare spielen, wir hätten die Kapazität dazu, aber wir wollen es nicht. Noch nicht. Wir spielen ausschließlich afrikanische Stücke, um die kulturelle Identität Mocambiques zu stärken. Manchmal nehmen wir auch ein Werk von Dario Fo oder ein Stück wie "Lysistrate" ins Programm, aber wir arbeiten die Texte um, damit sie einem afrikanischen Publikum verständlich sind. Wir wollen Stücke spielen, die mit dem Leben der Menschen hier zu tun haben.

Wie haben Sie den Bürgerkrieg in Mocambique erlebt, Herr Mankell? Als Sie hierherkamen, war die Regierung in schwere bewaffnete Auseinandersetzungen mit den rechten RENAMO-Rebellen verwickelt.

Mankell: Als ich hierherkam, war der Bürgerkieg auf dem Höhepunkt, das stimmt, auch die Armut war damals schlimmer als heute. Ich erinnere mich, daß kaum jemand Schuhe an den Füßen hatte, als ich nach Mocambique kam. Seither hat es einen gewissen Fortschritt gegeben: Heute trägt fast jeder Schuhe. Während des Bürgerkriegs war das offensichtlichste, daß Sie die Stadt nicht verlassen konnten. Sie mußten fliegen, wenn Sie nach Inhambane oder nach Beira reisen wollten. Sonst waren Sie in akuter Lebensgefahr.

Der Bürgerkrieg hat 700.000 Menschenleben gefordert...

Mankell: Schrecklich, ja, ich glaube, es waren sogar mehr. Für mich steht außer Zweifel, daß die RENAMO-Rebellen die Hauptverantwortung für die Greuel dieser Zeit tragen. Es gibt keinen Menschen in diesem Land, der nicht in irgendeiner Weise mit der Brutalität der RENAMO in Berührung gekommen wäre. Der eine hat einen Familienangehörigen verloren, der andere verschwand einfach von der Bildfläche, ein Dritter trat auf eine Landmine und verlor ein Bein ­ es war eine furchtbar Zeit.

Sehen Sie das nicht ein bißchen einseitig?

Mankell: Die Regierung mag da und dort Fehler gemacht haben, keine Frage, aber sagen Sie mir, welche Regierung begeht keine Fehler? Die RENAMO dagegen war eine Bande von Kriminellen, ich kann es nicht anders ausdrücken, es waren echte Kriminelle. Ich verabscheue sie. Ich will Ihnen eine kleine Geschichte erzählen: Vor ein paar Jahren bin ich mit einem winzigen Verkehrsflugzeug nach Südafrika geflogen. Als ich bemerkte, daß im selben Flugzeug der RENAMO-Führer Alfonso Dhlakama saß, betete ich zu Gott, daß das Flugzeug nicht abstürzen würde...

Wieso nicht?

Mankell: Ich wollte nicht in so schlechter Gesellschaft sterben.

Wie groß ist Ihrer Meinung nach die Gefahr, die vom wachsenden Rassismus in Europa ausgeht?

Mankell: Der Rassismus ist eine Erfindung der Europäer, und die Europäer müssen den Rassismus auch killen. Die Gefahr geht nicht so sehr von Neonazis und Skinheads aus, glaube ich, man muß diese Leute natürlich beobachten, und wenn sie kriminelle Taten setzen, muß man sie verurteilen und ins Gefängnis stecken. Aber man sollte die Gefahr, die von Skinheads ausgeht, nicht überschätzen. Viel wichtiger scheint mir die sogenannte schweigende Mehrheit zu sein. Wenn die schweigende Mehrheit plötzlich hinter einem Mann wie Le Pen nachrennt, oder hinter dem Politiker, der derzeit in Österreich so viel Erfolg hat, dann wird es gefährlich. Dann muß man etwas unternehmen. Ich glaube, daß wir gegen diese Menschen mit Argumenten vorgehen müssen, wir müssen mit ihnen diskutieren. Ich sage Ihnen etwas: Meine Hoffnung gehört der Jugend. Die jungen Leute leben heute auf selbstverständliche Weise mit Menschen aus anderen Kulturen zusammen, sie wissen genau, wie lächerlich Rassismus und Nationalismus sind.

Sie haben den direkten Vergleich: Was sind die entscheidenden Unterschiede zwischen Afrikanern und Europäern?

Mankell: Ich würde lieber die Gemeinsamkeiten sehen: Wir lachen und wir weinen aus denselben Gründen, das ist das wesentliche, wir freuen und ärgern uns über dieselben Dinge, darum geht es und um nichts anderes... Ich bin natürlich Europäer, und ich werde als Europäer sterben, auch wenn ich bis ans Ende meiner Tage in Afrika leben sollte, das ist klar. Aber Afrika macht mich zu einem besseren Europäer. Es gibt natürlich kulturelle Unterschiede, wir essen andere Dinge zum Frühstück als die Afrikaner, wir schütteln uns anders die Hand, wir waschen unsere Kleider anders, aber das sind nur verschiedene Methoden der Lebens-Organisation. Wenn wir uns allerdings auf die wesentlichen Dinge konzentrieren, dann werden wir feststellen, daß wir alle zur selben Familie gehören. Vielleicht sollten die Europäer öfter daran denken, daß sie ­ wie die Afrikaner ­ eine schwarze Großmutter haben.

ERSCHIENEN im Tagesanzeiger Zürich am 15. 3. 2000


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