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Florian Illies

"Harald Schmidt ist der große Erzieher unserer Generation"

FLORIAN ILLIES über Fitneßstudios, Börsenberichte, Deutschlands junge Schnösel und die aufreizende Lust der Jugend am Konservativismus. Von Günter Kaindlstorfer.


Herr Illies, welches Auto fahren Sie?

Illies: Einen Golf, das paradigmatische Auto meiner Generation.

Was schätzen Sie an ihm?

Illies: Der Golf verbindet Fahrkomfort mit Sicherheit, vor allem aber unterscheidet er sich substantiell von den 2CV-Enten, mit denen unsere Vorgänger, die 68er und ihre Epigonen, durch die Straßen gekurvt sind. Im Gegensatz zu den 68er-Autos, in denen es immer aussah wie im Flur einer feministischen Wohngemeinschaft – überall alte "Zeit"-Ausgaben und angegammelte Simone-de-Beauvoir-Paperbacks – im Gegensatz dazu ist der Golf schnittiger, angepaßter, durchschnittlicher, mehr Mainstream.

Ihr Werk "Generation Golf" macht derzeit auf dem Buchmarkt Furore. Was unterscheidet die von Ihnen entdeckte Generation Golf von den 68ern und ihren Nachfolgern?

Illies: Zum ersten Mal seit dreißig Jahren gibt es wieder eine Generation, die nicht nur von den Medien erfunden worden ist. Wie alle Generationen zuvor konstituiert sich auch die unsere durch radikale Ablehnung ihrer Vorgänger. Wir finden die 68er und ihre Nachfolger, die 78er, einfach lächerlich. Doch wir lehnen nicht so sehr die Menschen ab, sondern ihre verbiesterte Dogmatik: den blindwütigen Drang zur Weltverbesserung, das augenflackernde Gutmenschentum, die moralische und ideologische Bewertung von allem und jedem, mit diesen Eigenschaften können wir nichts mehr anfangen.

Und was setzen Sie dem entgegen?

Illies: Nichts. Oder wenn Sie so wollen: einen neuen Pragmatismus. Unser Prinzip ist einfach: Wir lieben es, gute Laune zu haben, und wir möchten uns diese gute Laune nicht verderben lassen. Wir möchten mit Leuten, die ihre Fahrräder selbst reparieren, nichts zu tun haben. Wir haben keine Lust, uns einen Abend lang über die Kurdenverfolgung im Nordirak die Köpfe heiß zu reden, weil uns das zu anstrengend ist.

Wie sieht denn die Freizeitgestaltung der Generation Golf aus?

Illies: Wir gehen ins Fitneßstudio, oder wir trinken Capuccino mit Freunden. Wir kümmern uns um unser Wohlergehen, pflegen den Kurs der eigenen Ich-AG.

Klingt frivol. Wo bitte bleibt die Politik?

Illies: Die Generation Golf ist, was ihren politischen Standort betrifft, konservativer als ihre Vorgänger. Wenn Sie das auf tagespolitische Positionen umlegen wollen, bevorzugen wir eindeutig die Mitte, die unendliche breite Neue Mitte. Für uns ist Gerhard Schröder genauso wählbar wie Angela Merkel, Joschka Fischer oder Guido Westerwelle. Nur die Fundamentalismen verschiedenster Provenienz dürfen nicht auf unseren Beifall rechnen. Der Messianismus grüner Feuchtbiotop-Schützer und linksdemokratischer Erich-Fried-Leser ist uns genauso suspekt wie der asketische Eifer katholischer Zölibatäre. An politische Fragen gehen wir gelassen heran. In unseren Augen soll der gesunde Menschenverstand Vorrang vor ideologischer Politik haben. Deswegen kommt leider auch niemand aus der Generation Golf auf die Idee, eine politische Laufbahn einzuschlagen ­ Karrieren in Wirtschaft oder Medien sind erfolgversprechender.

Was haben Sie bei der letzten Bundestagswahl gewählt?

Illies: Das ist doch unerheblich. Betrachten wir die Sache lieber generationsgeschichtlich: Im Prinzip ist für die zwischen 1965 und 1975 Geborenen jede Partei wählbar. Das hängt mit der Tatsache zusammen, daß die Generation Golf zur Frage, ob man Socken zu Sandalen tragen darf oder welche Internetaktie man kaufen soll, eine dezidiertere Meinung hat als zur Rentenreform oder zum Friedensprozeß im Nahen Osten. Wir sind politisch indifferent. Wir schauen vor allem aufs Outfit. Politiker wie Gerhard Schröder oder Joschka Fischer haben das begriffen, sie wissen, daß man heute vor allem gut, um nicht zu sagen, erstklassig gekleidet sein muß, um politisch zu reüssieren. Sie haben verstanden, daß der Weg zum Erfolg in direkter Linie über den Herrenausstatter führt.

Die Jugend wird konservativer ­ da müssen doch bei den Grünen, der selbsternannten Jugend-Partei, die Alarmglocken schellen.

Illies: Ja natürlich, für die grünen Gesinnungsethiker brechen schwere Zeiten an. Die dramatischen Stimmenverluste der grünen Partei in Deutschland zeigen ja, in welche Richtung der Trend geht. Der Zeitgeist ist liberal, die Ökologie ist längst nicht mehr das bestimmende Thema. Der Bedeutungsverlust des Ökologischen hängt unmittelbar mit den Erfahrungen unserer Jugend zusammen. Unsere Biologielehrerin hat uns unentwegt prophezeit, daß es wegen des Waldsterbens im Jahr 2000 keine Eiche mehr in Deutschland geben würde. Weit gefehlt. Nach ihren Voraussagen wäre auch Australien unter dem Einfluß des Ozonlochs längst zu einer einzigen Sand- und Steinwüste verdorrt. Tja, irgendwann haben wir uns für diese Horrormeldungen nicht mehr interessiert. Jetzt haben die Grünen das Auto allerdings als Lustobjekt entdeckt und rehabilitiert. Das macht der Generation Golf Hoffnung.

Sie beziehen sich in den politischen Analysen Ihres Buches vor allem auf Deutschland...

Illies: Ja, in Österreich liegen die Dinge anders. Der Siegeszug Jörg Haiders hat die Generation Golf in der Alpenrepublik politisch mobilisiert. Die jungen Leute in Österreich scheinen erkannt zu haben, daß sie das politische Feld nicht der populistischen Rechten überlassen dürfen. Das wirkt sich dynamisierend aus. Die Generation Golf ist glücklich, wenn sie sich endlich zu etwas verhalten muß.

Einen echten Konflikt mit ihren Eltern hat diese Generation nie riskiert, schreiben Sie in Ihrem Buch. Woher kommt das?

Illies: Weil wir dieselben Werte haben. Die Generation Golf ist eine nette Generation. Die Pubertät mit ihren Kämpfen und Konflikten haben wir weitgehend übersprungen, das erschien uns zu beschwerlich. Wir sind mit unseren Eltern im großen und ganzen einer Meinung: Es kommt darauf an, in Frieden, Freiheit und Wohlstand zu leben. Was uns von unseren Eltern unterscheidet, ist der Umstand, daß wir glauben, nichts Wesentliches dazu beitragen müssen.

Vielleicht hängt das damit zusammen, daß die Generation Golf in den achtziger Jahren aufgewachsen ist, mit Boris Becker, Helmut Kohl und der Musik von Duran Duran. Hat sich das so nachhaltig entpolitisierend ausgewirkt?

Illies: Eindeutig ja. Wie hat die Kindheit eines Generation-Golf-Angehörigen ausgesehen? Das läßt sich am besten am Verlauf eines typischen Samstagnachmittags beschreiben. Wir spielten draußen Fußball oder sonst etwas, dann wurden wir reingerufen. Ab ging\'s in die Badewanne, dort vergnügten wir uns mit unseren Playmobil-Figuren, die einen wesentlich höheren Spielkomfort aufwiesen als die Lego-Steine der 68er, die man erst mühsam zu Häusern, Autos oder Schiffen zusammenbauen mußte, bevor man mit ihnen spielen konnte, während man Playmobil-Figuren einfach nur kaufen mußte, und schon konnte man sie sinnvoll benützen.

Anschließend gab es Abendessen, und dann schaute man "Wetten, daß..?".

Illies: Woher wissen Sie das?

Ich bin Jahrgang 1963.

\"GenerationIllies: Dann haben Sie die essentiellen Dinge offenbar begriffen, obwohl Sie nicht zur Generation Golf im engeren Sinne gehören. "Wetten, daß..?"-Schauen war eine der prägenden Erfahrungen unserer Generation. Sobald die Eurovisionsmusik erklang, die wir heute noch alle mitsummen können, kuschelten wir uns in die Kapuzenbademäntel, die unsere Mütter vorgewärmt hatten, damit wir uns nicht erkälteten, und schnurrten vor Wohlgefühl. Wir sind eine Generation, die von tragischen Verstrickungen verschont geblieben ist. Deshalb sind wir so, wie wir heute sind.

Jetzt wundert mich nichts mehr.

Illies: Wir haben sehr früh gespürt, daß es richtiges und falsches Verhalten gibt. Das hatte nichts mit der Wahl zwischen Willy Brandt und Franz-Jospeh Strauß zu tun, es ging für uns mehr um die Orientierung im Kleinen. Die entscheidende Frage hieß nicht, links oder rechts, die entscheidende Frage hieß: Hast du einen "Geha"-Füller oder einen "Pelikan"-Füller, trägst du einen Sweater von "Benetton" oder einen Sweater von "Fruit of the loom"? Das waren die ausschlaggebenden Differenzierungen, die wir vollzogen. Diese Lust an der Unterscheidung ist uns bis heute geblieben.

Jetzt mal ehrlich, Herr Illies, stört es Sie nicht, neben Schriftstellern wie Benjamin Stuckrad-Barre und Christian Kracht zum neuen deutschen Schnösel-Wunder gerechnet zu werden?

Illies: Die Generation Golf ist zweifellos eine Schnösel-Generation, überhaupt keine Frage. Ich habe in meinem Buch allerdings hinreichend klargestellt, daß mir die Eitelkeiten dieser Generation als grotesk bewußt sind.

Schicker Anzug, den Sie da tragen...

Illies: Ist das verboten? Ich dachte, Sie wollten zur Generation Golf gehören ­ und jetzt solche Fragen?

Sie leben auch in einer Altbauwohnung.

Illies: Ja, natürlich, die Generation Golf hat ein unausrottbares Faible für Altbauwohnungen. Wir können den Drang unserer Eltern zu Neubau-Appartements am Stadtrand in keiner Weise nachvollziehen. Wir haben von Anfang an alte Häuser bevorzugt, Gründerzeit am besten ­ allein schon der hohen Decken wegen. Nie und nimmer könnten wir in 2,20 Metern Wohnhöhe leben. Wir postulieren eine Grundrecht des Menschen auf 3,40 Meter Deckenhöhe.

Welche Beziehung haben Sie zu Harald Schmidt, Herr Illies?

Illies: Harald Schmidt ist der große Erzieher unserer Generation. Er trägt schicke Anzüge. Und er hat im deutschen Fernsehen Witze gemacht, die man dort bisher nicht vernommen hat. Allein dieser Mut zum Tabubruch prädestiniert ihn zur Kultfigur der Generation Golf. Wir sind der Resonanzkörper, auf dem er seinen Snobismus zur Schau stellen kann.

Was heißt das?

Illies: Harald Schmidt hat uns gelehrt, daß man Menschen einfach nicht ernst nehmen kann, die ständig vom Umweltschutz reden und hellblaue Buttons mit Friedenstauben tragen, weil diese Menschen den Umweltschutz und das Buttontragen selbst viel zu ernst nehmen. Außerdem sind wir die erste Generation, die wieder über Polenwitze lachen kann, ohne gleich an den Polenfeldzug von 1939 denken zu müssen. Auch in dieser Beziehung hat uns Harald Schmidt befreit.

Klingt ziemlich zynisch...

Illies: Nein, zynisch war es vielmehr, daß das ganze Land zwanzig Jahre lang Werte wie Solidarität und Toleranz postulierte, aber Humor ein restricted area blieb. Soll ich vielleicht Otto Waalkes und Dieter Hildebrandt lustig finden? Das bringe ich nicht fertig.

Wie sehen Sie das Kulturverhalten der Generation Golf, generell?

Illies: Hier herrscht der blanke Eklektizismus. Nehmen Sie die Musik, hier werden die verschiedensten Stile bedenkenlos nebeneinander konsumiert: Wir hören zum Frühstück die "Brandenburgischen Konzerte" zum Mittagessen kubanischen Jazz, und am Abend "Kruder und Dorfmeister". Wir kennen keinerlei Identifikation mehr mit einer bestimmten Musikrichtung. Das sehe ich durchaus skeptisch. Schauen Sie sich die deutsche Fußball-Nationalmannschaft an. Sie scheiterte bei der EM kläglich, weil Eklektizismus plötzlich nicht mehr reichte. Im Fußball ist die selbstverliebte Generation Golf erstmals an ihre Grenzen gestoßen.

Und in der Literatur?

Illies: Ein düsteres Kapitel. Für unsere Vorgänger gehörte es dazu, Kafka, Freud und Marcuse gelesen zu haben. Das ist heute nicht mehr der Fall. Wenn die Generation Golf überhaupt liest, dann liest sie ­ extrem gesagt ­ "Men\'s Health" und den Börsenteil der "Neuen Zürcher" und nicht "Sein und Zeit". Es handelt sich um eine extrem untheoretische Generation, sie interessiert sich nur für Dinge, die sie in der Unterhaltung mit Freunden unmittelbar anwenden kann. Und bis man ein Hegel-Zitat anwenden kann, ohne aus dem Raum geworfen zu werden, vergehen ja manchmal zehn bis fünfzehn Jahre. Da blättert man lieber den Ikea-Katalog durch oder schaut sich "Big Brother" an ­ das kann man am nächsten Morgen beim Small-Talk im Büro einstreuen und wird dafür auch ernstgenommen.

Welches Verhältnis hat diese Generation zur Börse?

Illies: Ein libidinös besetztes. Börse und Fitneßstudio sind die idealen Tummelplätze für die Generation Golf. Die jungen Leute von heute haben einen gewaltigen Energie-Überschuß, und diesen Überschuß können sie ganz locker an der Nasdaq und im Fitneßstudio abbauen.

Warum gerade an der Nasdaq?

Illies: Die Technologiebörsen und das Internet-Banking bieten faszinierende Möglichkeiten für raschen Reichtum. Man kann heute ganz bequem von zu Hause aus ein paar Millionen machen, das nützen viele von uns auf spielerische und zugleich effiziente Weise aus.

Man kann die Generation Golf auch weniger liebevoll betrachten, als Sie es tun.

Illies: Natürlich.

Man kann auch sagen, daß es sich um eine verwöhnte, narzißtische, extrem oberflächliche Generation handelt. Würden Sie dem widersprechen?

Illies: Überhaupt nicht. Alle diese Attribute treffen zu, keine Frage. Noch etwas scheint mir wichtig: Wenn man einmal vernünftig über die Dinge nachdenkt, muß man zu dem Urteil gelangen, daß das Glück der Generation Golf auf Sand gebaut ist. Ein Börsencrash, eine Atomkatastrophe, und alles ist dahin. Der derzeitige Wirtschaftsboom wird sich gewiß nicht in alle Ewigkeit fortsetzen, und ich befürchte, daß die Generation Golf denkbar schlecht auf die kommenden ökonomischen und sozialen Krisen vorbereitet ist. Bis jetzt hat sie geglaubt, mit dem Kauf günstiger Pharmapapiere und dem Erwerb funktionalistischer Designerlampen kann man die Widrigkeiten des Lebens ohne größere Probleme meistern. Ein Irrtum. Wenn die Dinge einmal weniger glatt laufen als jetzt, wenn das Ozonloch wächst und der Wirtschaftsboom abflaut, dann wird die Generation Golf realisieren, daß konsequentes Markenbewußtsein und makellose Fönfrisuren allein nicht genügen, um sich den unausweichlichen Tragödien des Lebens zu stellen.

Erschienen in "Tagesanzeiger", Zürich, 19.7. 2000 und "Der Standard", Wien, 5.8.2000.

DAS BUCH:
Florian Illies: GENERATION GOLF – EINE INSPEKTION
Argon Verlag (2000), 220 Seiten, ISBN: 3870245123.



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