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Michael Frank: ALLES WIEN
Stadtansichten, Picus Verlag (2003), ISBN: 3854524722

Michael Frank: Alles Wien

Stadtansichten
Von Günter Kaindlstorfer


Wirklich firm in Sachen Wien ist der "Zuagraste" erst, wenn er J-Wagen und D-Wagen geläufig zu unterscheiden weiß. Michael Frank, Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung", hat da keinerlei Probleme. Auch die Divergenz von Handsemmel und Maschinsemmel weiß der in Oberbayern Geborenen stehenden Fußes namhaft zu machen. "Alles Wien" heißt ein amüsantes Bändchen, das Michael Frank soeben im Picus-Verlag vorgelegt hat. Der Österreich-Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" beschäftigt sich in seinem Leitfaden für Wien-Novizen mit der kakanischen Genußfreudigkeit der Wienerinnen und Wiener ebenso wie mit ihrem Faible für diabolisch heisse Saunaaufgüsse und ihrem Grußverhalten – Stichwort: "Babaaa". Es ist ein gewissermaßen ethnologischer Blick, den der 56jährige da auf die einstige Kaiserstadt und ihre Bewohner wirft. Im Vergleich zu Deutschland dürfe der Feudalismus in Österreich noch nicht als restlos überwunden gelten, bemerkt Frank. Stichwort: Titelsucht. Stichwort: Protektion.

OT Frank: "Ja, das fällt natürlich auf, die Titelsucht und die Protektion... Nur: In Deutschland hat sich ... umerzogen ... Einfluß der angloamerikanischen ... dass die Autoriäten insgesamt geringer sind... Vielleicht ist die österreichische Gesellschaft rein formal nicht autoritärer strukturiert als die deutsche, aber in den Seelen der Menschen ist sie es doch noch sehr."

Michael Frank ist ein Meister der Feder, ein hochrespektabler Journalist, ein Intellektueller von Graden – akademischen Titel indes hat er keinen. In Österreich nimmt man dergleichen nur ungern zur Kenntnis. Vom Zahlkellner bis zum Sektionschef – in Wien nennt man den Korrespondenten der "Süddeutschen" immer nur den "Herrn Dr. Frank". "Herr Doktor", das ist eben das mindeste, was man dem Redakteur eines Weltblatts zutraut.

OT Frank: "Ich hab auch Briefe bekommen, die an den \'Herrn Chefredakteur Frank\' adressiert waren. Im Zweifelsfall greift man gleich ein bisschen höher, nach dem Motto: Nur nichts falsch machen. Für Deutsche ist das eine ausgesprochen lächerliche Veranstaltung."

Also gut, Herr Frank: Als Sie Mitte der achtziger Jahre nach Wien übersiedelt sind, was ist Ihnen da als erstes aufgefallen?

OT Frank: "Das erste, was einem... dass Österreicher sehr höfliche Leute sind.“

Eine Höflichkeit, die man keinesfalls missverstehen darf – ist sie doch meist der Konvention geschuldet. Nie und nimmer darf man höfliches Verhalten in Wien als Ausdruck persönlicher Wertschätzung nehmen, weiß Michael Frank. Eine gewisse Courtoisie legen die Wiener vor allem aus Gründen des "Ghörtsich" an den Tag – und: weil man seine wahren An- und Absichten hinter gefälligen Formen trefflich verstecken kann. In Wien kommt es auch vor, weiß der Autor, dass einem jemand mit ausgesuchter Höflichkeit einen Dolch in den Rücken rammt.

OT Frank: "Ich habe immer das Gefühl, dass in der Seele der Wiener zwei Seelen widerstreiten: die autoritäre und die anarchistische. Bedauerlicherweise siegt oft die autoritäre."

Seit knapp zwei Jahrzehnten beobachtet Michael Frank nun schon das politische Geschehen in Österreich. Der Unterschied zu Deutschland ist in seinen Augen evident.

OT Frank: "Österreich ist einfach eine Konsensgesellschaft, wo der hohe Wert der ist, dass man sich möglichst immer einigt. Deutschland ist nach dem Krieg zu einer Streitgesellschaft... In Österreich wird Politikern gern vorgeworfen, dass sie den Konsens zerstören... zu streiten, als negativer Wert an sich angesehen wird."

Noch etwas fällt Wien-Besuchern auf: die Omnipräsenz sozialdemokratischer Ästhetik. Keine Großstadt in Mitteleuropa sei so vom Geist der Arbeiterbewegung geprägt wie Wien, erläutert Michael Frank.

OT Frank: "Das fällt einem eigentlich sehr positiv auf. Zum Beispiel die vielen Höfe... Gemeindebau... eine phantastische Sache waren... kommunalen Geist... der gegenseitigen Fürsorge..... Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Dieses wunderschöne Amalienbad am Reumannplatz... hier war es eine sozialistische Stadträtin."

Man sieht, Michael Frank hat die essenziellen Besonderheiten Wiens verstanden. Sein Büchlein wird dem Kenner der Stadt wenig Neues bieten – die Qualitäten des Wiener Wassers, die Vorzüge des Böhmischen Praters sind dem Ortseingesessenen in der Regel schon bekannt. Als feuilletonistischer Wegbegleiter für städtetouristisch ambitionierte Piefkes hat sich der Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" mit seinem Buch allerdings gewisse Meriten erworben. Noch ein, zwei solche Bändchen, über Salzburg und Graz zum Beispiel, und Michael Frank wird – nächstes oder übernächstes Jahr – zum Professor ernannt!

Buchhinweis:
Michael Frank: ALLES WIEN
Stadtansichten, Picus Verlag (2003), ISBN: 3854524722.



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