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Karl-Markus Gauß: VON NAH, VON FERN – EIN JAHRESBUCH
Journal, Zsolnay Verlag (2003), 264 Seiten, ISBN 3552052860.

Karl-Markus Gauss: Von nah, von fern

Ein Jahresbuch
Rezension von Günter Kaindlstorfer


Karl-Markus Gauß hat viele Talente. Auf die Kunst der Feindschaft versteht sich der in Salzburg lebende Schriftsteller genauso gut wie auf die hohe Kunst des geglückten Satzbaus. Nachzuprüfen auch im jüngsten Band aus Gaußens Feder, "Von nah, von fern", erschienen bei Zsolnay. Wie schon in seinem Erfolgsbuch "Mit mir, ohne mich" pflegt Gauss auch in seinem neuen Opus ein Genre, das im deutschen Sprachraum als durchaus unterschätzt gelten darf: das Genre des JOURNALS.

Als kritischer Chronist läßt der Schriftsteller diesmal das Jahr 2002 Revue passieren. Das thematische Spektrum ist breit gefächert: Es reicht vom Selbstmord Franz Innerhofers im Jänner bis zu den Kriegsvorbereitungen der amerikanischen Golfkriegsarmee im Dezember 2002. Am Genre des Journals reize ihn vor allem die inhaltliche Bandbreite, sagt Karl-Markus Gauss.

OT Gauß: "Es sind melancholische Passagen drin, gnadenlos politische Passagen... die Gegenwart mit ihren Widerlichkeiten, es sind aber auch bestimmte Idyllen aufblitzend... Das ganze ist ein disparates Gebilde, von dem ich glaube, dass ich... eines... Herangehens sehr gut verwirklichen kann."

Karl-Markus Gauß profiliert sich in seinem Buch nicht nur als pointierter Zeitkritiker, sondern auch als kämpferischer Polemiker gegen die Eitelkeiten und Blasiertheiten des Kulturbetriebs. Umberto Eco und Salman Rushdie beispielsweise hält der Schriftsteller schlicht und einfach für mittelmäßige, für hoffnungslos überschätzte Autoren.

OT Gauß: "Die schreiben ja beide gar nicht mehr dafür, dass sie gelesen werden, sondern dass sie entweder, wie Rushdie, verteidigt werden, oder, wie Eco, ihre Elaborate häppchenweise quer durch die europäische Magazinpresse verkaufen können."

Der Kern der Gaußschen Kritik: Beide, Salman Rushdie wie Umberto Eco, schrieben Bücher für Agenten, nicht für Leser. Pardon wird nicht gegeben in diesem literarischem Journal. Wortmächtig zieht Gauß auch gegen den deutschen Leichenvermarkter Gunther von Hagens zu Felde. Die, wie er es nennt, "Eventschächtungen" des umstrittenen Anatomen erregen des Schriftstellers Abscheu in besonderem Maße.

Zitat:
"Gunther von Hagens ist die Leni Riefenstahl der plastifizierten Körper, ein Meister aus Deutschland, der vom Triumph seines Willens über den Verfall der Materie so beraucht ist, daß er seine Sektionen mittlerweile als pseudosakrale künstlerische Akte inszeniert. Das betont er durch den schwarzen Hut, den er, ohne deswegen Joseph Beuys zu werden, niemals abnimmt."

Man hört, der Mann kann schreiben. Eine temperamentvolle Attacke reitet Gauß in seinem Buch auch gegen den österreichischen Brachialdokumentaristen Ulrich Seidl. Der umstrittene Filmemacher sei letztlich nichts als ein Menschen-Denunzierer, poltert Gauß, ein cineastischer Manipulateur, der es sich in der schwarzen Idyllik seiner Filmkunst behaglich eingerichtet habe.

OT Gauß: "Er ist natürlich ein absoluter Kenner und Künstler, nur ist sein gesamtes künstlerisches Schaffen darauf orientiert, die Menschen in ihrer tiefsten Beschämung zu zeigen, die Menschen als Alltagsfaschisten in jederlei Fasson hinzustellen. Dabei entwickelt er eine unglaubliche Präzision. Ich habe dagegen allerdings einen grundlegenden Einwand: Er hat eine selbstzufriedene, snobistische Aversionsroutine gegen das ach so dumme Volk entwickelt."

Eine Routine, die Karl-Markus Gauß ganz und gar gegen den Strich geht. Zu polemischer Höchstform schwingt sich der Salzburger Literat auch im Zusammenhang mit dem Kärntner Landeshauptmann auf. In satirischer Zuspitzung zieht Gauß gegen die Publicitysucht von Österreichs reisefreudigsten Politiker vom Leder.

Zitat:
"Am Montag jettet er von Österreich in den Irak, um mit dem Blutrünstigen für ein paar Fotos um die Wette zu grinsen... Dann besteigt er von rasender Eskorte... zurück nach Österreich... tief gerührt umstandslos wieder rückgängig macht."

Karl-Markus Gauß in rhetorischer Raserei ­ auf einen groben Klotz gehört wohl ein grober Keil. Man darf sich den Journal-Schreiber vom Fuße des Mönchsbergs freilich nicht als polternden Hysteriker vorstellen, als wildgewordenen Polemiker, der mit Schaum vor dem Mund der ganzen Welt den Krieg erklärt. Im Gegenteil: In Gaußens neuem Buch finden sich auch stille, nachdenkliche Passagen: über seinen aus der Vojvodina geflüchteten Großvater, der, kaum in Österreich angekommen, so gut wie nichts mehr gesprochen hat, über die Rastlosigkeit der modernen Welt, über die landschaftlichen Schönheiten der Ostslowakei, die der Schriftsteller letztes Jahr bereist hat.

Wenn es so etwas wie eine allgemeine politische Stoßrichtung in Gauß\' neuem Buch gibt, dann ist es die Kritik am Neoliberalismus. Der europäische Sozialstaat finde in Gauß einen glühenden Verteidiger.

Karl-Markus Gauß: "Ich war vor einigen Jahren in England, dem Versuchsland Maggie Thatcher... In diesen Zügen, die dort fahren... die würde in Österreich kein Pensionistenverein akzeptieren... Diese Züge, die stinken, eng sind, jeden Komfort eingebüßt haben, die wären ja sozusagen die Zukunft Europas, aber die Zukunft Europas, und davon bin ich fest überzeugt, ist noch nicht entschieden."

Karl-Markus Gauß würde wohl gern ein Wörtchen mitreden, was Europas Zukunft betrifft. Nur leider: Auf solche wie ihn haben die Mächtigen bisher nur selten gehört. Eigentlich schade.


Buchhinweis:
Karl-Markus Gauß: VON NAH, VON FERN – EIN JAHRESBUCH
Journal, Zsolnay Verlag (2003), 264 Seiten, ISBN 3552052860.



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