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Kurt Palm: Der Brechreiz eines Hottentotten

Ein James-Joyce-Alphabet von Aal bis Zahl
Rezension von Günter Kaindlstorfer


Kurt Palm ist ein glühender Joyce-Bewunderer. Diese Bewunderung manifestiert sich in jeder Zeile des erstaunlichen Joyce-Breviers, das der aus Oberösterreich stammende Autor und Theaterkünstler da vorgelegt hat. Eineinhalb Jahre lang hat Palm an seinem Buch gearbeitet, ein Zeitinvestment, das sich gelohnt hat: "Der Brechreiz eines Hottentotten" ist ein Lesegenuß ersten Ranges, eine Trägerrakete ins Joycesche Literaturuniversum, eine kurzweilige und erfrischend schräge Einführung in "Ulysses" und "Finnegans Wake", die beiden vielleicht ungelesensten Bücher der Weltliteratur. Strukturiert ist Palms Buch als Joyce-Alphabet – von "Aal" bis "Zahl" reichen die Kapitelüberschriften.

OT Palm: "Die Struktur hat sich... nicht chronologisch lesen... Man kann das Buch von hinten nach vorne... Da hab ich mir gedacht... Alphabet als Strukturelement wählt... Joyce selbst haben die 26 Buchstaben des Alphabets eigentlich immer genügt, um für sich eine neue Welt zu erschaffen, ja."

Kurt Palm geht es nicht zuletzt darum, den "Ulysses" vom Nimbus des Schwerverständlichen zu befreien. Joyces Meisterepos über den Alltag des trinkfesten Anzeigenaquisiteurs Leopold Bloom ist vor allem ein hinreißend komisches Buch, findet Palm. Komisch geht es auch in Palms eigenem Werk zu. Ausführlich informiert uns der Autor über Joyces Essvorlieben, über des Dichters eigentümliches Interesse an Defäkationsritualen und seine nicht ganz unperverse sexuelle Schwäche für Blähungen, Darmwinde und die braunen Flecken in den Unterhosen der Gattin. Man sieht: Kurt Palm hat ein derbes und deftiges, ein ganz und gar unakademisches Buch vorgelegt. Sein Motto: Kampf den Korinthenkackern, Kampf den blutleeren akademischen Literaturverwesern, die den "Ulysses" unter einer Lawine von Strukturanalysen und diskurstheoretischen Untersuchungen begraben haben.

OT Palm: "Im Verlauf der letzten achtzig Jahre hat sich so viel Ballast an Sekundärliteratur um dieses Buch angehäuft, dass man als Leser keinen Blick... das Werk mehr oder weniger zubetoniert... dass man sich wieder einen naiven Blick auf dieses Werk aneignet."

Man ist, was man isst. Keiner weiß das besser als Kurt Palm. In den letzten Jahren hat der 49jährige ja nicht nur als Theaterkünstler und Schriftsteller Aufsehen erregt, sondern auch als gesuchter Schau-Koch, der in öffentlichen Happenings den "Dressed Chef" gibt und dabei, so heißt es, nichts anbrennen lässt. Kein Wunder, dass sich der Ulysses-Experte in seinem Joyce-Reader auch mit dem Thema "Essen und Trinken bei James Joyce" auseinandersetzt.

OT Palm: "Joyce hat sehr ausgeprägte Vorlieben gehabt, was Essen und Trinken betrifft. Merkwürdigerweise mochte er Innereien überhaupt nicht... Hammelnieren... hat er sich auf einen Wein festgelegt... Rotwein hat er überhaupt nicht gemocht.... Ansonsten hat er alles getrunken, was alkoholhaltig war, vor allem Absinth und Whisky."

Von kritikloser Joyce-Verehrung ist Kurt Palm weit entfernt. So macht er in seinem Buch beispielsweise deutlich, daß der Autor des "Ulysses" ausgesprochen merkwürdige Ansichten über Frauen hatte, nicht nur, wenn er betrunken war. Joyces Bruder Stanislaus zufolge soll der Dichter als junger Mann mehrfach und mit einer gewissen Inbrunst ein damals offenbar weitverbreitetes Bonmot zitiert haben. Das Bonmot geht so: "Das Weib ist ein Tier, das täglich 1 Mal uriniert, wöchentlich 1 Mal den Darm entleert, monatlich 1 Mal menstruiert und jährlich 1 Mal gebiert." Nun ja. Frage an Palm: Wenn James Joyce heute noch leben würde ­ wie stünden da die Chancen, dass ihn die Frauenzeitschrift "Emma" zum "Pascha des Monats" wählen würde?

OT Palm: "Die stünden, glaube ich, sehr gut... im Spiegel der Zeit sehen muß... Wobei ich Ihnen dahingehend recht gebe, wonach es einige Aussagen gibt, die auch im damaligen Kontext indiskutabel waren... Das waren sexistische Äußerungen eines Mannes, der in bestimmten Phasen seines Lebens einfach Probleme mit Frauen hatte."

Trotzdem: Über den Schriftsteller und Sprachkünstler Joyce lässt Palm nichts kommen. Die revolutionäre Leistung des "Ulysses"-Autors: dass er die Niederungen des Alltags literaturwürdig gemacht habe. Das Dublin der Jahrhundertwende – eine schäbige, durch und durch provinzielle Stadt – wird bei Joyce zum Spiegel der Welt.

OT Palm: "Das Tolle an "Ulysses" ist ja, dass sich in diesen 1000 Seiten, die ja nur in Dublin spielen, das ganze Universum wie in einem Brennspiegel spiegeln... dann kann er sozusagen zum Herzen jeder Stadt vordringen."

Im Zentrum der Joyceschen Literatur steht dennoch: die Sprache.

OT Palm: "In seinem Roman \'Ein Porträt des Künstlers als junger Mann\'... als würde er durch eine Gasse gehen, die umgeben ist von Bergen toter Sprache... Joyce hat versucht, diese Berge wegzuräumen... hindurchzuarbeiten... Joyces Werk ist nichts anderes als das eines Spracharchäologen, der im Lauf der Jahrzehnte versucht hat, die Sprache zum Leben zu erwecken."

Auch wenn es ihm darum vermutlich am allerwenigsten geht: Kurt Palm ist auch ein exzellenter Didaktiker. Wie schon in seinem Stifter-Buch "Suppe, Taube, Spargel, sehr, sehr gut" gelingt es Palm auch diesmal auf nachgerade virtuose Weise, Leben und Werk eines als schwierig gehandelten Schriftstellers lebendig zu machen. Wie würde Buck Mulligan, der zu Beginn des "Ulysses" auftretende Mediziner, zu Palms Buch sagen? "Großartig ist gar kein Ausdruck", würde Buck Mulligan wohl sagen: "Wundervoll, einfach rundum wundervoll." (Ulysses, Seite 23)

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Gesendet in der Radio-Sendung "Ex Libris", Ö1, September 2003.

Buchhinweis:
Kurt Palm: DER BRECHREIZ EINES HOTTENTOTTEN
James-Joyce-Alphabet, Löcker Verlag (2003), 279 Seiten, ISBN: 3854093896.



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