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Cormac McCARTHY:
Kein Land für alte Männer
Roman, Rowohlt Verlag (2008),
288 Seiten ,
ISBN-10: 3498045024.

Gesendet in der Radiosendung
Ex Libris, Ö1, April 2008.

Kein Land für alte Männer

CORMAC McCARTHY
Roman aus dem Englischen von Nikolaus Stingl


Der 5. Juni 2007 war ein besonderes Datum. An diesem Tag gab der 74jährige Cormac McCarthy das erste Fernseh-Interview seines Lebens. Da saß ein etwas krampfiger Herr in Jeanshemd und Cordhosen in einem Lederfauteuil und antwortete eher maulfaul auf die Fragen der Talkmasterin Oprah Winfrey:

Oprah: "Did you always know, that you are a writer?
McCarthy: "That\\\'s hard to say…"
Oprah: "Are you passionated about writing?"
McCarthy: "I don\\\'t know. Passion – it sounds like a pretty fenzy word. I like, what I do… Sometimes it\\\'s difficult. You always have the image of the perfect thing, which you never can achieve. But you may never stop trying to achieve."

Cormac McCarthy, es hat sich herumgesprochen, ist neben Thomas Pynchon und J.D. Salinger der dritte große Einzelgänger der US-amerikanischen Literatur. Allerdings war der in Rhode Island geborene Romancier lange Zeit nicht so anerkannt wie Pynchon und Salinger. Noch vor zehn, fünfzehn Jahren verkaufte keiner von McCarthys Romanen in den USA mehr als 5000 Exemplare, und außer einer Handvoll Schriftsteller, unter ihnen Saul Bellow, schien sich niemand für ihn zu interessieren. Das hat sich geändert. Romane wie "All die schönen Pferde", "Die Straße" und das jetzt ins Deutsche übersetzte "Kein Land für alte Männer" haben Cormac McCarthy spät aber doch zu höheren literarischen Weihen und zu einem gewissen Publikumserfolg verholfen.

Charakteristisch für McCarthys Prosa ist eine ungewöhnliche Mischung aus krassem Naturalismus und kulturpessimistischer Mystik, eine Mischung, die sich auch in "Kein Land für alte Männer" findet. Interessant wird das Buch für den deutschsprachigen Leser nicht zuletzt dadurch, daß es einige Wochen NACH der oscarprämierten Verfilmung durch die Coen-Brüder in den Buchhandel kam. Man kann Buch und Film also unmittelbar miteinander vergleichen.

Was als erstes auffällt: Die Coens haben sich detailliert an die literarische Vorlage gehalten, bis in die Einzelheiten der Dialoge hinein. Der Plot ist ident, auch wenn McCarthys Roman insgesamt karger, spröder, asketischer daherkommt: Der Hobbyjäger Llewelyn Moss stößt bei einem Ausflug in die menschenleere texanische Wüste auf drei zerschossene Geländewagen sowie ein gutes Dutzend Leichen. Im Kofferraum eines Pick-Ups entdeckt der Vietnamveteran ein paar pralle Packen Heroin. Ein gescheiterter Drogendeal. Moss\\\' ärmliches Leben scheint an einem Wendepunkt angelangt zu sein, als er ein Stück vom Tatort entfernt eine weitere Leiche findet. Die Hände des Toten umklammern einen Koffer. Der Inhalt: 2,4 Millionen Dollar. Moss nimmt das Geld an sich und fährt nach Hause zu seiner Frau. In der Nacht darauf macht er einen verhängnisvollen Fehler: Er kehrt an den Schauplatz des Massakers zurück – und damit nimmt das Verhängnis seinen Lauf: Die Hintermänner des Drogendeals hetzen einen psychopathischen Killer auf ihn...

Genau genommen folgt "Kein Land für alte Männer" einer schlichten Dramaturgie: der einer auf 280 Seiten ausgedehnten Verfolgungsjagd. Zwei Dinge unterscheiden McCarthys nihilistischen Thriller von anderen, minderwertigeren Büchern dieser Art. Zum einen die monströse Figur des Killers, der unerhörte Kälte mit messerscharfer Intelligenz verbindet: mit seiner Uzi und einem Bolzenschußgerät häuft der Mann – Chigurh heißt er – Leiche auf Leiche. Der zweite Unterschied: die in Kursivschrift eingstreuten Monologe eines Sheriffs namens Bell, der hinter dem flüchtigen Kofferdieb Moss und seinem potenziellen Killer her ermittelt. Bell macht sich so seine Gedanken, über die immer blutrünstigeren Methoden der Unterwelt, über den Verfall der Sitten, über das Böse in der Welt. Der alte Sheriff verkörpert den Common Sense, er ist ein trauriger Humanist, ein anständiger Kerl, ohne viel Gewese darum zu machen.

Oprah Winfrey in ihrer Literatur-Talkshow schien eine tiefere Text-Exegese eher wenig zu interessieren. In ihrem Interview mit Cormac McCarthy beschränkte sie sich auf die ganz, ganz harmlosen Fragen: "Schreiben Sie jeden Tag, Mister McCarthy, oder brauchen Sie Inspiration für Ihre Arbeit?" In diesem Fall hatte der ansonsten recht einsilbige Romancier sogar eine schlagfertige Antwort parat:

McCarthy: "Faulkner was once asked, if he writes every day or only when he is inspired. And he answered: "I only write, when I am inspired, but I\\\'m inspired every day." So, you have to treat, what you are working..."

Als "Kein Land für alte Männer" 2005 in den USA erschien, äußerten sich die meisten Kritiker enttäuscht. Wenn man jetzt, drei Jahre später, die deutsche Übersetzung liest, versteht man auch warum. Ganz anders als der Film der Coen-Brüder entwickelt der Roman keinen Sog, die Sprache ist, bei aller Lakonik, langweilig und seltsam hölzern, die einzelnen Szenen stehen eigenartig unverbunden nebeneinander.

Was ist besser, Buch oder Film? Die Antwort auf die alte Partyfrage fällt hier eindeutig aus: "Kein Land für alte Männer" ist einer jener raren Fälle, in denen die Kinoversion das Buch meilenweit hinter sich läßt.




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