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Maitage
Günter Wels

Czernin Verlag
Preis: EUR 19.80
ISBN: 978-3-7076-0325-5
Seiten: 274
Ausstattung: Hardcover SU
Format: 12,5 x 19 cm

Epitaph auf Mike

Beginn einer Geschichte aus dem Erzählband „Maitage“

Ich habe Mike an einem der Cine-Club-Nachmittage kennengelernt, die Studienrat Meier, Deutschprofessor am Brucknergymnasium, einmal im Monat in den Greif-Lichtspielen auf dem Kaiser-Josef-Platz zu veranstalten pflegte. Wir standen alle noch vor dem Kino zusammen und quatschten, wobei Didi Achleitner, Gründungsredakteur der Schülerzeitung Etcetera, einmal mehr den Klugscheißer raushängen ließ.

„Versteh ich nicht, warum der Film so super Kritiken gekriegt hat“, sagte Achleitner. „Ich meine, der Titel ist okay, Nordsee ist Mordsee, den Titel kann man lassen. Aber sonst: WDR-Fernsehspiel-Ästhetik der ödesten Art, wenn ihr mich fragt.“
Auch Stoffel war nicht zufrieden. „Am Anfang hab’ ich mir gedacht: Der Film gewinnt bestimmt noch an Drive. War ein Irrtum. Das Ganze ist immer noch fader geworden.“ Er schob sich einen Kaugummi in den Mund, ließ das Stanniolpapier in seiner Jackentasche verschwinden.
 „Ihr seid abscheuliche Snobs“, sagte Kathi. „Dass ein Filmemacher sein Augenmerk auf sozial Benachteiligte richtet, spricht noch lange nicht gegen seine künstlerische Integrität – im Gegenteil.“
Ich seufzte. Genau die Art von Diskussion, die mir auf die Nerven ging.
Jetzt mischte sich ein Neuer ins Gespräch, ein introvertiert wirkender Schlaks mit braunem, halblangem Haar und einem weiten, um die Hüften schlackernden Sakko. Das war Mike. Ich weiß nicht, wer ihn mitgebracht hatte, einer von den Etcetera-Leuten vermutlich. Mike ging in die Siebte, ich kannte ihn vom Sehen auf dem Pausenhof, dann und wann hatte ich ihn auch vorm Anti-AKW-Stand in der Fußgängerzone gesehen, wo er Flugblätter verteilte und den Leuten Unterschriftenlisten vor die Nase hielt. Nicht, dass er spektakulär gut aussehend gewesen wäre, das kann man wahrhaftig nicht behaupten. Er war ehrlich gesagt gar nicht mein Typ. Er hatte grüne, mit braunen Pünktchen gesprenkelte Augen und einen ausdrucksvollen Mund, das schon, aber von seinem Gesicht, seiner Statur, seiner ganzen Erscheinung her – speckige Jeans, indisches Halstuch – war er wie alle anderen auch: Durchschnitt. Von Achleitner und den anderen Stützen der Etcetera-Clique unterschied er sich höchstens dadurch, dass er ernster wirkte und grüblerischer. Das wiederum zog mich an.
„Also, mich hat der Film berührt“, sagte er. „Vor allem die letzte Szene, da, wo die beiden Typen die Segel setzen … man könnte sagen, das war kitschig, ich fand’s aber nicht kitschig … ich fand’s … irgendwie berührend.“
Dass einer als Argument einbrachte, er fände einen Film berührend, war ungewöhnlich. Die von Etcetera sprachen von hyperbolischer Transparenz oder den nebulösen Epiphanien der Dialektik, wenn sie einen Film gut fanden. Mike hatte das nicht nötig. Er sagte, was er empfand. Das gefiel mir.
Die Diskussion ging hin und her, ohne dass groß etwas dabei herausgekommen wäre. Das war an diesem Nachmittag nicht anders als sonst auch. Nachdem alle Argumente ausgetauscht waren – ob sie nun stichhaltig waren oder nicht –, machte Stoffel den Vorschlag, etwas trinken zu gehen. Er musste uns nicht lange überreden. In zwei, drei Grüppchen zogen wir zum Café Urbann in der Bahnhofstraße, unserem Stammlokal, einem zerschlissenen Kaffeehaus mit Marmortischchen und gemütlichen Stoffbänken und der rauchgeschwängerten Aura Tausender geschwänzter Schulstunden.
Ich setzte mich mit Kathi, Mike und Stoffel in Bewegung. Achleitner und die Etcetera-Leute waren schon vorausgegangen, sie wollten noch irgendwo Zigaretten besorgen.
„Und dir?“, fragte Mike. „Wie hat dir der Film gefallen?“
"Ich fand ihn nicht schlecht“, sagte ich. „Im Gegensatz zu Achleitner, dem Schwätzer.“
„Er hört sich halt gern reden“, sagte Mike. „Im Grunde ist er okay. Zigarette?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Heiße Mike. Du?“
"Nenn’ mich Dana“, sagte ich. „Das tun alle. In Wirklichkeit: Daniela.“
„Gott ist mein Richter“, sagte er.
„Was?“
„Gott ist mein Richter.“
Ich warf ihm einen verständnislosen Blick zu.
„Dein Name kommt aus dem Hebräischen“, sagte er. „Auf Deutsch heißt Daniela ,Gott ist mein Richter’.“
„Echt? Hör’ ich heut’ zum ersten Mal.“
„Mein Kopf ist voll mit solchem Zeug. Bis oben hin angefüllt mit unnützem Wissen. Manchmal krieg ich richtig Angst, dass ich verrückt werde. Kennst du das?“
„Weiß nicht. Vielleicht.“
Mike blieb stehen. Er kramte eine Packung Samson-Tabak aus der Umhängetasche, begann sich eine Zigarette zu drehen. Kathi und Stoffel gingen langsam weiter, wir blieben zurück.
„Du gehst in die Sechste“, sagte er, während er das dünne, mit bröseligem Tabak gefüllte Zigarettenpapier zwischen den Fingern hin und her rollte. Es war eine Feststellung, keine Frage.
„Woher weißt du das?“
„Ich seh dich jeden Tag in der Schule“, sagte er. Er ließ das Tabak-Päckchen in der Tasche verschwinden, zündete sich die Zigarette an. „Außerdem hast du den Redewettbewerb letzten Herbst gewonnen. ,Demokratie braucht Partizipation’.“
„Das hast du mitgekriegt?“
„Das Foto von der Preisverleihung hing doch lange genug am schwarzen Brett.“
Ich fühlte mich geschmeichelt. Mike hatte mich zur Kenntnis genommen, obwohl er mir bis zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht groß aufgefallen war.
Wir gingen weiter. Er erzählte von der Anti-AKW-Gruppe, in der er sich engagierte. Einmal in der Woche traf er sich mit fünf, sechs Leuten im Büro der Naturschutzjugend im Ledererturm: Man zog Flugblätter ab, malte Plakate und Transparente, besprach die nächsten Aktivitäten. Im Wesentlichen bestanden diese Aktivitäten aus dem Verteilen von Flugblättern vor den höheren Schulen, dann und wann auch im Aufstellen eines Infostands in der Bäckergasse, wo Unterschriften gesammelt und Broschüren von Murray Bookchin und Robert Jungk verkauft wurden.

Das Café Urbann war berstend voll. Wir fanden einen Tisch unter den Garderobeständern ganz hinten. Mike und ich kamen nebeneinander zu sitzen. Er bestellte Kaffee, ich heiße Schokolade. Mike legte ein abgegriffenes Fischer-alternativ-Bändchen mit grünlich-grauem Einband auf den Tisch: Wege aus der Wohlstandsfalle.
"Darf ich mal sehen?“, sagte ich.
„Klar.“
Ich nahm das Buch, überflog den Klappentext, blätterte die mit Unterstreichungen und Bleistiftanmerkungen übersäten Seiten durch. „Alles andere als unspannend“, sagte Mike. „Möchte in Politische Bildung eine Redeübung drüber halten. Die Herausgeber stellen die ganze industrielle Massenproduktion in Frage.“
„Echt?“
Er nickte. „Sie plädieren für ein ökologisch nachhaltiges Wirtschaftsmodell, mit kleinen, dezentralen Einheiten und so.“
„Ich glaube nicht, dass das funktioniert“, sagte ich.
„Wieso nicht?“
„Weil ich nicht an Modelle glaube, die sich ein paar Professoren zu Hause an ihren Schreibtischen ausdenken. Die Welt funktioniert nicht so.“
Die Kellnerin brachte die Getränke. „So wie bis jetzt kann’s jedenfalls nicht weitergehen“, sagte Mike, während er eines der papierenen Zuckersäckchen aufriss und ein wenig Zucker in seinen Kaffee rieseln ließ. „Man sieht doch, wohin uns die eindimensionale Orientierung auf immer mehr Wirtschaftswachstum führt: Die Wälder sterben, die Flüsse kippen, das kann man nicht einfach hinnehmen, finde ich.“
Ich löffelte das Schlagobershäubchen von meiner Schokolade, trank einen Schluck.
Mike setzte mir die Grundzüge des neuen Wirtschaftsmodells und einige interessante Details auseinander – „Es geht um eine Art soziale Mutation, verstehst du?“ – nach ein paar Minuten verstummte er plötzlich. Er rührte in seinem Kaffee, schien über irgendetwas nachzudenken. Mit einem Mal war es so, als wäre er nicht mehr da. Er wirkte vollkommen weggetreten.
„Geht’s dir nicht gut?“, fragte ich.
„Nein, passt schon. Es ist nur …“ Er winkte ab. „Egal!“
Es war einer jener plötzlichen Stimmungsumschwünge, die ich später noch öfter an Mike beobachten sollte.
Am anderen Ende des Tischs kam Didi Achleitner auf sein Lieblingsprojekt zu sprechen, ein Artaud-Happening, das er im Herbst im Cordatus-Saal der evangelischen Kirchengemeinde realisieren wollte. Sein Konzept sah eine leere, mit blutigen Fahnen behängte Bühne vor, dort sollten zwei Dutzend Schauspieler in Zwangsjacken Artauds Manifest vom Theater der Grausamkeit vortragen. Kathi, mir und einem Mädchen aus der siebten Klasse hatte Achleitner tragende Rollen zugedacht. Wir sollten zentrale Abschnitte des Texts im Chor deklamieren, darunter die Passage, in der Artaud eine neue Art von kultischem Theater fordert – „ein Theater, das die erotischen Obsessionen des Zuschauers zum Vorschein bringt“, wie Achleitner jetzt wieder schwärmte. Er redete sich in Fahrt, wie immer, wenn ihn die Begeisterung für sein Projekt übermannte. „Artauds Manifest muss euch in Fleisch und Blut übergehen“, sagte er. „Es geht nicht darum, dass ihr den Text sprecht. Der Text muss euch sprechen, versteht ihr?“ Er strich sich mit einer fahrigen Gebärde durchs Haar. Mit seinem melancholisch umschatteten Blick und der malerisch zerfahrenen Mähne sah er für einen Augenblick selbst aus wie Artaud.
Ich beugte mich zu Kathi hinüber, flüsterte ihr ins Ohr: „Glaubst du, dass aus dem Abend jemals was wird?“
Sie nippte an ihrem Rotwein-Cola, setzte das Glas ab, warf mir einen ironischen Blick zu. Dann schüttelte sie stumm den Kopf.

 Zwei Tage später – es war große Pause und ich war gerade auf dem Weg ins Konferenzzimmer, wo ich etwas abzugeben hatte – sprach Mike mich an. Er hing mit ein paar Siebtklässlern vor dem Chemiesaal herum, löste sich aus der Gruppe, schlapfte auf mich zu. Ob ich Lust hätte, mit ihm und ein paar Kumpels am Wochenende ins CC zu fahren, fragte er. Sein Freund Ecki hätte ein Auto aufgetrieben, und da hätten sie gedacht, ich hätte vielleicht Lust mitzukommen.
Das CC war eine Diskothek am Ortsrand von Eberstalzell, etwa zwanzig Kilometer von W. entfernt. Das Lokal galt aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen als angesagt, obwohl es mitten in der Pampa lag und im Grunde nichts anderes war als eine hundsordinäre Dorf-Disco. Reggae Nights und Woodstock Specials lockten allerdings Leute aus dem ganzen Bezirk dorthin, zumindest an den Wochenenden.
„Ins CC?“, sagte ich. „Da war ich schon eine Ewigkeit nicht mehr.“ „Dann wird’s Zeit.“
„Okay“, sagte ich. „Ich komme mit.“
„Wir treffen uns am Samstag um halb neun vorm Ringstraßencafé. Dann fahren wir alle zusammen raus, okay?“
„Einverstanden.“
Und so machte ich mich zwei Tage später mit Kathi, Stoffel und Achleitner, der ein weiteres Auto aufgetrieben hatte, auf den Weg nach Eberstalzell. Mike und die anderen fuhren uns in einem mit einem riesigen Atomkraft-nein-danke-Kleber bedeckten R4 voraus. Sie hatten die Fenster runtergekurbelt und beschallten die Felder am Straßenrand mit einer Live-Version von Ramblin\\\' Gamblin\\\' Man von Black Oak Arkansas. Einer von Mikes Freunden schaute aus dem Heckfenster des R4 zu uns nach hinten, schnitt Grimassen, streckte die Zunge raus.
„Scheint schon zugekifft zu sein, der Typ“, sagte Kathi.
„Schaut so aus“, grummelte Achleitner, der Mike und seinen Freunden eine gewisse Eifersucht entgegenzubringen schien.
Kurz nach neun kamen wir im CC an. Vor dem Eingang stand ein wackliges, mit weißen Farbspritzern übersätes Beistelltischchen, dahinter thronte ein bärtiger Typ mit kajalgeschminkten Augen und langen schwarzen Haaren. Er trug jede Menge Ringe und Armbänder, dazu eine geblümte Weste mit ausgefransten Fellrändern. Vor ihm stand eine offene Geldkassette. Ich legte einen Zwanziger auf den Tisch, bekam einen Stempel auf den Handrücken gedrückt. „Das erste Getränk geht aufs Haus“, sagte er desinteressiert. Er drückte mir einen Getränkebon in die Hand, ich schob mich hinter Kathi ins Lokal. Die abgestandene Luft, das Flackern der Lichtorgeln, die zwei Dutzend Leute, die unter den rotierenden Lichtpunkten einer an der Decke montierten Spiegelkugel herumlungerten – alles war haargenau so wie vor eineinhalb Jahren, als ich mit Kathi und ein paar Leuten aus der Clique zum letzten Mal hier gewesen war.
„Mörder was los ist nicht gerade“, maulte Stoffel, als wir uns an den Tanzenden vorbei in Richtung Bar bewegten.
„Vielleicht wird’s ja noch“, sagte Kathi.
Wir ließen uns in der Nähe der Bar nieder, bestellten Bier und Cuba libre, schauten den Leuten beim Tanzen zu. Achleitner ließ sich in ein abgewetztes Samt-Fauteuil im hinteren Teil des Klubs fallen, redete auf einen schweigsamen Burschen aus der sechsten Klasse ein, den er an der Bar getroffen hatte. Keine Ahnung, woher die beiden sich kannten. Die Luft war schlecht und die Musik ein bisschen zu mainstreamig, wie Kathi fand. Sie saß neben mir auf einer der mit Kunstleder überzogenen Bänke, ließ sich von Stoffel den Nacken massieren. Mit einer Kopfbewegung deutete sie auf Mike, der sich etwas abseits von uns mit seinem Kumpel Ecki und einer der Etcetera-Redakteurinnen unterhielt. „Wird das was mit dem?“, fragte sie leise. Ich zuckte mit den Achseln.

Nach dem dritten Cuba libre gingen wir auf die Tanzfläche. In a Gadda da Vida war unwiderstehlich. Mike und Ecki folgten uns. Sie bewegten sich mit laschen, seltsam uninspirierten Bewegungen zur Musik. Begeisterte Tänzer, das sah man, waren sie nicht. Mike schickte ein zaghaftes Lächeln in meine Richtung.
Inzwischen war das Lokal ganz gut gefüllt, fünfzig, sechzig Leute frequentierten die Tanzfläche. Ich spürte den Rum, der mir zu Kopf gestiegen war, dazu kam die abgefahrene Musik. Ich hatte das Gefühl zu schweben. Alles andere als unangenehm. Ich schloss die Augen, begann den Kopf herumzuwerfen im Rhythmus des jaulenden Solos, zu dem der Gitarrist gerade ansetzte. Es war großartig. Ich öffnete die Augen, der DJ hatte das Stroboskop in Gang gesetzt, Lichtblitze zuckten über die Tanzfläche. Ich sah Kathi und Stoffel mit abgehackten Bewegungen an mir vorbeidriften. Die Etcetera-Redakteurin, die sich vor ein paar Minuten noch extracool mit Mike und Ecki unterhalten hatte, glitt mit seligem Lächeln in Richtung Bar. Als Ron Bushy etwas später zu seinem ausgedehnten Schlaggzeugsolo ansetzte, zog es sogar Achleitner, den notorischen Tanzverweigerer, auf die Tanzfläche. Je exzessiver die Nummer wurde, desto ekstatischer fegte auch er zwischen den Tanzenden herum, er grölte sogar den Schlussrefrain mit, schien sich völlig wegzuflippen. „Das hat’s noch nie gegeben“, rief ich der neben mir shakenden Kathi zu und zeigte auf Achleitner, aber sie verstand mich nicht.

Kurz nach vier taumelten wir aus dem Klub, fünfzehn, zwanzig Leute insgesamt, die bis zum Ende durchgehalten hatten. Nach Hause wollte keiner. Wir standen vor dem Lokal, überlegten, was wir noch unternehmen könnten. Einer aus der Etcetera-Clique machte den Vorschlag, zum Fluss hinunterzufahren. Er kenne eine Stelle nicht weit von hier, die sei echt phänomenal. Vor allem der Sonnenaufgang dort unten sei ein Wahnsinn.
Es brauchte nicht viel, uns zu überreden. Ich stieg zu Mike und Ecki in den R4, ein mir unbekannter Typ mit schulterlangem Haar und ein Pärchen aus der siebten Klasse drängten sich zu mir auf den Rücksitz, was einiges Geschiebe und ein, zwei halbanzügliche Witze zur Folge hatte. Dann fuhren wir los. Mike schob eine Kassette in den Recorder, drehte auf volle Lautstärke, der Typ neben mir sang lauthals mit:

Up on Cripple Creek she sends me.
If I spring a leak she mends me.

I don’t have to speak she defends me,

a drunkard’s dream if I ever did see one.


Ecki parkte den Wagen am Rand einer Schotterstraße, gleich hinter Achleitner und dem Mini Cooper der Etcetera-Redakteurin. Er verteilte zwei, drei muffig riechende Decken, die er aus den Tiefen des Kofferraums hervorholte. Mike brachte von irgendwoher auch noch eine Doppelliterflasche Rotwein zum Vorschein. Dann setzten wir uns in Bewegung, stapften einen taufeuchten Waldweg zum Fluss hinunter.
Die Stelle, an die der Etcetera-Redakteur uns führte, hatte wirklich was Romantisches. Der Fluss bahnte sich seinen Weg zwischen Uferweiden und moosigen Steinen; ein, zwei Meter vom Ufer entfernt wucherten üppige Farnbuschen. Wir breiteten unsere Decken auf einem breiten, flachen Steinstrand aus, setzten uns hin, ließen die Doppelliterflasche im Kreis gehen, schwiegen, quatschten, schwiegen wieder.
Nach einer Weile wurden die ersten Sonnenstrahlen zwischen den Weidenblättern am anderen Flussufer sichtbar, ein zartes Orange, das sich in den Baumkronen brach und in glitzernden gelben Lichtpunkten übers Wasser tanzte.
Ich fröstelte. „Schweinekalt hier“, sagte ich. „Ich hätte nicht gedacht, dass es Anfang Juni noch so kalt sein kann.“
„Soll ich dir eine Decke bringen?“, fragte Mike. Er saß neben mir, eine Selbstgedrehte zwischen den Lippen.
„Au ja“, sagte ich. „Dafür hättest du was gut bei mir.“
Er verschwand in Richtung Auto. Wenig später kehrte er mit einer ausgefransten Wolldecke zurück. Sie war dreckiger als die anderen Decken, ein paar Ölflecken waren drauf, aber das war mir egal. Mike legte mir die Decke um die Schultern, rubbelte mich ein bisschen ab, am Rücken und entlang der Arme. Das war angenehm. Ich schmiegte mich in die kratzige Wolle, zog die Ecken über der Brust zusammen. Einer von Mikes Freunden holte seine Gitarre hervor, begann an ihr zu zupfen. „The woman I’m thinkin’ of – she loved me all up, but I’m so down today …“
Stoffel und Achleitner hatten ein bisschen Kleinholz und ein paar Äste gesammelt, sie schichteten das Ganze zu einem Holzhaufen auf und bemühten sich, ein Lagerfeuer zu entfachen. Nach einigem Hin und Her – ich schätze, sie brannten drei Dutzend Streichhölzer ab – gelang es ihnen. Mike saß neben mir. Er lehnte sich an mich. Ich schloss die Augen, summte die Melodie mit, legte den Kopf auf seine Schulter (...)

 




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