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Marlene Streeruwitz

"Isabel Allende produziert politischen Stillstand"

MARLENE STREERUWITZ über ihren Roman "Nachwelt", den Feminismus der späten Neunziger Jahre und ihr Verhältnis zu Barbie-Puppen. Von Günter Kaindlstorfer.

Sie haben den Ruf einer Männerhasserin, Frau Streeruwitz. Ist Ihnen das angenehm?

Streeruwitz: Ach Gott, ich finde es rührend, daß Patriarchatskritik immer noch von so vielen Männern persönlich genommen wird. Patriarchatskritik ist Kulturkritik, nicht die Kritik konkreter Männer.

Trotzdem, ich kenne Männer, die sich vor Ihnen fürchten.

Streeruwitz: Reizend! Sie auch? Fürchten Sie sich auch vor mir?

Eigentlich nicht. Ich finde Sie sympathisch.

Streeruwitz: Das freut mich. Wenn sich Männer vor mir fürchten, dann sind das vermutlich Österreicher, die vor einer gewissen Präzision des Ausdrucks zurückschrecken, die denken immer gleich an Folterinstrumente, wenn eine Frau ihre Überzeugungen klar und deutlich zum Ausdruck bringt. Ich habe den Eindruck, daß eine unmißverständliche Sprache, die nicht um ihren Gegenstand herumturnt, vielen Menschen Schweißperlen auf die Stirn treibt. Das ist eigentlich schade.

In Ihrem Roman "Nachwelt." befassen Sie sich mit Anna Mahler, der Tochter Alma und Gustav Mahlers. Was hat Sie an dieser Frau interessiert?

Streeruwitz: Ich muß Ihnen gestehen, daß ich bis zu dem Zeitpunkt, da mir ein befreundeter Verleger im Café Bräunerhof in Wien vorgeschlagen hat, eine Anna-Mahler-Biographie zu schreiben, gar nichts von der Existenz dieser Frau gewußt habe. Ich habe mich erst nach Annahme des Auftrags mit ihrem Leben auseinandergesetzt.

Sie sind dann für Ihre Recherchen nach Los Angeles geflogen.

Streeruwitz: Zunächst wollte ich Anna Mahler in Spoleto in Umbrien interviewen, wo sie damals, in den späten achtziger Jahren, als Bildhauerin lebte. Aber sie starb, bevor ich nach Spoleto kam. Ich reiste also nach Los Angeles, wo Anna Mahler lange Zeit als Exilantin gelebt hat, ich sprach mit Freunden, Nachbarn und Bekannten, um mir ein Bild von ihr zu machen.

Sie haben auch zwei Ihrer Ehemänner getroffen: den Regisseur Albrecht Joseph und den Komponisten Ernst Krenek.

Streeruwitz: Das Gespräch mit Krenek war bezaubernd. Ich plauderte mit einem alten, sehr kultivierten Herrn ­ nur: Die Unterhaltung hat nicht viel gebracht. Ernst Krenek mußte zugeben, daß er mit einer Person verheiratet gewesen war, von der er nicht wußte, was sie den ganzen Tag über getrieben hatte.

Ihr Projekt, eine Anna-Mahler-Biographie zu schreiben, ist letztlich gescheitert. Woran?

Streeruwitz: Es erschien mir unangebracht, ein Urteil über ein ganzes Leben zu fällen. Das muß ein zwangsweise hochmütiges Unterfangen sein. Außerdem hat es widersprüchliche Aussagen über grundlegende Fragen gegeben.

Zum Beispiel?

Streeruwitz: Meine Interviewpartner waren sich nicht einmal darüber einig, ob Anna Mahler geraucht hat oder nicht. Wenn schon in solchen Dingen keine Eindeutigkeit herzustellen ist, wie soll man dann die Wahrheit über ein ganzes Leben rekonstruieren? Das ist unmöglich. Eine Biografie zu schreiben, muß immer eine Anmaßung bleiben.

Alle Biographen lügen?

Streeruwitz: In gewisser Weise schon. Wer Biographien schreibt, behauptet ja unausgesprochen, die Wahrheit über ein bestimmtes Leben zu erzählen. Das ist eine Fiktion. Deshalb empfiehlt es sich immer, Biographien mit Vorbehalt zu lesen.

Wie sehen Sie als Feministin die Person Alma Mahler-Werfels?

Streeruwitz: Für eine denkende Frau, die sich mit Alma Mahler-Werfel auseinandersetzt, ist sie natürlich eine Schreckensfigur. Ich habe den ganzen Alma-Rummel nie verstanden. Ihr Lebenskonzept, sich über berühmte Männer erlösen zu wollen ­ du lieber Himmel! Sie hat auch ihre Kinder nicht wirklich liebevoll behandelt, das Muttersein war offenkundig ein lästiges Nebenprodukt des Männerhabens. Ich finde diese Frau ­ alles in allem ­ ziemlich unsympathisch.

Frau Streeruwitz, Sie haben in Ihren Büchern einen eigenen, unverwechselbaren Stil entwickelt: Sie verwenden kurze, atemlose Sätze, teilweise ignorieren Sie auch die traditionelle Grammatik. Diese Kurzatmigkeit ist Ihr Markenzeichen geworden. Manche Kritiker sagen: eine Marotte.

Streeruwitz: Das ist ganz und gar keine Marotte. Dahinter steht ein klarer sprachkritischer Ansatz: Die Sprache darf keine Einheit, keinen umfassenden Zusammenhang vorgaukeln. Den gibt es nicht. Das ist weiß Gott keine neue Erkenntnis.

Möchten Sie dem Publikum mit Ihren Büchern Glückserlebnisse verschaffen? Oder muß Literatur weh tun?

Streeruwitz: Über eine gelungene Form stellt sich durchaus so etwas wie Glück oder Vergnügen ein. Ich weiß nicht, ob meine Bücher weh tun, ich finde, sie sind zum Teil wirklich komisch, sie arbeiten mit einer sanften, aber scharfen Situationskomik. Das finde ich wichtig. Ohne Kichern wäre die Welt nicht zu ertragen.

"Der Alltag der Frauen wird in Deutschland als nicht literaturwürdig betrachtet", haben Sie einmal behauptet. Möchten Sie dem entgegenwirken?

Streeruwitz: Literatur muß sich mit dem Alltag auseinandersetzen. Das ist meine feste Überzeugung. Im Alltag passieren die spannendsten, auch die politisch wichtigsten Dinge.

Das Publikum scheint das anders zu sehen: In jüngster Zeit wird eskapistische Literatur offenbar stärker nachgefragt als früher. Isabel Allende verkauft sich um Klassen besser als, sagen wir, Gabriele Wohmann.

Streeruwitz: Um Verkaufszahlen kümmere ich mich nicht. Ich genieße das Privileg, an ernsthaften Romane zu arbeiten und nicht an Unterhaltungsliteratur. Bücher wie die von Isabel Allende geben dem Publikum Auszeit, sie führen die Leserinnen und Leser aus dem realen Leben hinaus. Man versinkt im Ohrensessel und besteht das eine oder andere Abenteuer, dann kehrt man ins eigene Leben zurück, ohne daß sich dort auch nur das geringste verändert hätte. Das ist genau jene Ästhetik, die politischen Stillstand herstellt. Für mich hat das mit Entfremdung zu tun.

Man kann es auch Katharsis nennen. Nach dem Ausflug in die Fiktion kehrt man gereinigt, gestärkt, vielleicht auch beglückt in die Wirklichkeit zurück. Man sieht diese wieder mit frischem Blick.

Streeruwitz: Ich bestreite nicht, daß man bei der Lektüre Isabel Allendes so etwas wie Glück empfinden kann. Ein bißchen Katharsis wird schon stattfinden. Aber eben nur ein bißchen. Und dann geht es dort weiter, wo frau zu lesen begonnen hat. Zurück zu Punkt eins: Wie das bei einer Katharsis eben so ist.

Im Kino gilt das Motto: "Eine Putzfrau will nach zehn Stunden Arbeit nicht ins Kino gehen, um sich eine Putzfrau bei der Arbeit anzuschauen."

Streeruwitz: Das mag schon sein. Ich will ja auch nicht gegen jede Form von Unterhaltung polemisieren: Selbstverständlich brauchen wir Unterhaltung, jeder Mensch will manchmal seinen Spaß haben und die Schwere des Lebens hinter sich lassen, keine Frage. Man soll dabei nur wissen, was man tut. Wenn jemand das Bedürfnis hat, mit Isabel Allende oder Kevin Costner in den siebten Himmel zu entschweben, dann soll er oder sie das ruhig tun. Man sollte sich nur im klaren darüber sein, daß es ein Ausflug ist, der mit den realen Gegebenheiten nichts zu tun hat.

Wenn man "Gala" oder "Allegra" liest, Frau Streeruwitz, stellt sich das Frauenleben ungeheuer aufregend dar: Top-Karriere und Haushalt lassen sich da mühelos unter einen Hut bringen, daneben findet frau auch noch Zeit für fantastischen Sex. In Ihren Büchern nimmt sich die Wirklichkeit deutlich anders aus.

Streeruwitz: Im Gegensatz zu den von Ihnen zitierten Zeitschriften nehmen meine Romane keine Rücksicht auf Werbeinserate. Deshalb darf ich ein bißchen wirklichkeitsnäher schreiben als "Gala". Faktum ist, daß Frauen in Mitteleuropa heute privilegierter leben denn je. Es ist heute spannend, eine Frau zu sein, es gibt vieles, was das Leben aufregend und lebenswert macht. Zugleich drücken uns immer noch Relikte aus der Sklavinnenzeit ­ Benachteiligungen, Zurücksetzungen, unglaubliche innere Tragödien. Das sollte man nicht aus dem Blick verlieren.

Der Feminismus war erfolgreich ­ nicht erfolgreich genug?

Streeruwitz: So ist es. Vor allem in der Erziehung scheint wenig weitergegangen zu sein. Die kleinen Mädchen werden weiterhin auf All-Liebe gedrillt, man trichtert ihnen nach wie vor ein, das höchste aller Ziele sei es, von der Umwelt lieb und nett gefunden zu werden. Auch Barbies werden immer noch heiß geliebt. Da scheint sich wenig geändert zu haben.

Trotzdem, die Girlie-Generation von heute wirkt selbstbewußter als die Mädchen und Frauen früher.

Streeruwitz: Das stimmt. Die jungen Frauen sind heute stolz auf ihr Frau-Sein, sie lassen sich weniger vorschreiben als wir früher. Das ist ein Fortschritt. Ich sehe allerdings auf den Spielplätzen nach wie vor die Einteilung in Buben- und Mädchenbereiche, ich beobachte, daß es auch in fortschrittlichen Kindergärten immer noch die geschlechtsspezifische Einteilung in Bauklotz- und Schmuseecken gibt. In manchen Bereichen müssen wir sogar Rückschritte verzeichnen. In den Ober- und Mittelschichten zum Beispiel feiert die traditionelle Mädchenerziehung eine echte Renaissance. Die Leute versuchen wieder vermehrt, die Kultur der untergegangener Oberschichten nachzuahmen. Mädchen werden wieder zum Ballett und zum Reitunterricht geschickt, das ist ein Symptom dafür.

Was haben Sie gegen Reitunterricht?

Streeruwitz: Das Reiten hat eindeutig mit der Abschiebung von Sexualität zu tun. Über diese Pferdegeschichten findet eine Domestizierung von weiblicher Sexualität statt.

Frau Streeruwitz, wenn man Sie nicht näher kennt, machen Sie einen distanzierten, einige sagen auch: einen frostigen Eindruck. Steckt hinter Ihrer kühlen Fassade der Wunsch, sich vor den Zumutungen der Welt zu schützen?

Streeruwitz: Ein gefaßtes Äußeres ist mir wichtig, das stimmt. Aber ich denke, daß aus meinen Texten niemand auf einen distanzierten oder gar frostigen Menschen schließen kann. Im Gegenteil, wer meine Bücher aufmerksam liest, wird eine gewisse Leidenschaftlichkeit in ihnen entdecken... Aber ehrlich gesagt, ich weiß gar nicht, was an der Analyse meiner Person so schrecklich interessant sein soll. Letzten Endes geht es doch nur um die Texte, finden Sie nicht?

Doch.

Streeruwitz: Na, sehen Sie.


DAS BUCH:
Marlene Streeruwitz: NACHWELT.
Roman, Fischer (1999), 398 Seiten, ISBN: 3100744241



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